Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615 Satz 1 BGB entsteht, wenn der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt. Allerdings kann dieser Anspruch gemäß § 11 Nr. 2 KSchG ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitnehmer es böswillig unterlässt, eine ihm zumutbare anderweitige Arbeit anzunehmen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 15. Januar 2025 (Az. 5 AZR 135/24) die Voraussetzungen für einen solchen Ausschluss präzisiert.
Gesetzliche Grundlagen
§ 615 Satz 1 BGB
Regelt den Anspruch auf Annahmeverzugslohn, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht annimmt.
§ 11 Nr. 2 KSchG
Bestimmt, dass sich der Arbeitnehmer auf den Annahmeverzugslohn das anrechnen lassen muss, was er durch anderweitige Arbeit verdient oder böswillig zu verdienen unterlassen hat.
Böswilliges Unterlassen: Definition und Voraussetzungen
Ein Arbeitnehmer handelt böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG, wenn er während des Annahmeverzugszeitraums trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Die Beurteilung erfolgt im Rahmen einer Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.
Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers
Gemäß § 297 BGB ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, Annahmeverzugslohn zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Leistungsunfähigkeit trägt der Arbeitgeber.
Zumutbarkeit der anderweitigen Arbeit
Die Zumutbarkeit einer anderweitigen Arbeit hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter:
- Art der Tätigkeit: Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht hinnehmen.
- Vergütung: Ein Angebot, dessen Nettovergütung unter dem Arbeitslosengeld liegt, ist in der Regel unzumutbar.
- Vertrauensverhältnis: Ein gestörtes Vertrauensverhältnis, insbesondere nach einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber, kann die Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung ausschließen.
Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich aktiv um eine neue Beschäftigung zu bemühen. Dazu gehört:
- Die Arbeitssuchendmeldung bei der Agentur für Arbeit,
- die Bewerbung auf Vermittlungsvorschläge der Agentur sowie auf Eigeninitiative,
- und die Erteilung von Auskünften über seine Bewerbungsbemühungen gegenüber dem Arbeitgeber.
Relevante Rechtsprechung
In dem vom BAG am 15. Januar 2025 entschiedenen Fall (Az. 5 AZR 135/24) hatte die Arbeitnehmerin nach einer Änderungskündigung das Änderungsangebot abgelehnt und gegen die Kündigung geklagt. Während des Rechtsstreits meldete sie sich arbeitsuchend, bewarb sich auf Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Arbeitgebers und unternahm auch eigene Bewerbungsbemühungen. Der Arbeitgeber kündigte ihr später fristlos mit der Begründung, dass das Vertrauensverhältnis durch ein beantragtes Bußgeldverfahren gegen ihn zerstört worden sei.
Das BAG stellte klar, dass der Anspruch auf Annahmeverzugslohn nicht ausgeschlossen ist, da:
- die Arbeitnehmerin durchgehend leistungsfähig war (§ 297 BGB),
- sie sich aktiv um eine neue Beschäftigung bemühte,
- das Änderungsangebot eine erhebliche Verschlechterung darstellte und daher unzumutbar war,
- der Arbeitgeber durch die fristlose Kündigung zu erkennen gab, dass er an einer Weiterbeschäftigung nicht mehr interessiert war.
Fazit
Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn kann ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitnehmer böswillig eine zumutbare anderweitige Arbeit nicht annimmt. Die Beurteilung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, darunter die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers, die Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit und die Bewerbungsbemühungen. Die aktuelle Rechtsprechung des BAG betont die Bedeutung einer sorgfältigen Einzelfallprüfung und stellt klar, dass der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das böswillige Unterlassen trägt.
Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie sich nach einer Kündigung aktiv um eine neue Beschäftigung bemühen und alle zumutbaren Angebote prüfen sollten. Arbeitgeber sollten hingegen sorgfältig dokumentieren, welche zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten sie dem Arbeitnehmer angeboten haben, um im Streitfall den Ausschluss des Annahmeverzugslohns geltend machen zu können.