Das deutsche Erbrecht bietet vielfältige Möglichkeiten, den eigenen Nachlass rechtssicher zu regeln. Neben den bekannten Modellen – etwa dem Berliner Testament – existieren auch regional geprägte Gestaltungsformen, die sich in der Praxis seit Jahrzehnten bewährt haben. Eine dieser Varianten ist das Württembergische Testament, auch als „Württembergische Lösung“ bezeichnet. Diese besondere Testamentsgestaltung bietet Ehegatten die Möglichkeit, sowohl den überlebenden Partner abzusichern als auch die Kinder bereits frühzeitig und steueroptimiert einzubinden.
Der folgende Beitrag erläutert die Struktur, die Anwendung und die Vorteile dieser Testamentsform. Er berücksichtigt die einschlägigen gesetzlichen Grundlagen, aktuelle Rechtsprechung und praktische Erfahrungswerte aus der anwaltlichen Beratung.
I. Was ist ein Württembergisches Testament?
Unter einem Württembergischen Testament versteht man eine gemeinschaftliche letztwillige Verfügung von Ehegatten, bei der die gemeinsamen Kinder unmittelbar zu Erben eingesetzt werden, während der überlebende Ehegatte nicht Alleinerbe wird, sondern vielmehr:
- ein Vermächtnis erhält (z. B. Geldbeträge, Wohnrechte),
- einen lebenslangen Nießbrauch am gesamten oder an Teilen des Nachlasses innehat (z. B. Nießbrauch am Familienheim oder an vermieteten Immobilien),
- und regelmäßig zum Testamentsvollstrecker eingesetzt wird.
Im Vergleich zum Berliner Testament – bei dem sich die Ehegatten zunächst gegenseitig zu Alleinerben einsetzen – tritt der überlebende Ehegatte beim Württembergischen Testament nicht in die Stellung eines Vollerben, sondern wird in eine verwaltende, nutzungsberechtigte Position gebracht.
Diese Konstruktion stammt historisch aus Württemberg, hat sich aber bundesweit in erbrechtlichen Gestaltungen etabliert, insbesondere in Familien mit Immobilienvermögen.
II. Gesetzliche Grundlagen
Das Württembergische Testament ist keine eigenständige gesetzliche Norm, sondern eine Gestaltungsform auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Einschlägige Vorschriften sind insbesondere:
- Die Grundnorm der Gesamtrechtsnachfolge in das Vermögen des Erblassers:
§ 1922 BGB. - Zur Errichtung und Wirksamkeit von Testamenten:
§ 1937 BGB, § 2064 BGB ff. - Zum Vermächtnis:
§ 2147 BGB ff. - Zum Nießbrauch:
§ 1030 BGB ff. - Zur Testamentsvollstreckung:
§ 2197 BGB ff. - Zur Entlassung des Testamentsvollstreckers:
§ 2227 BGB.
Gerade § 2227 BGB spielt im Kontext des Württembergischen Testaments eine wichtige Rolle, wenn Kinder ein Vorgehen des überlebenden Ehepartners kritisieren. Die Rechtsprechung verlangt hier grobe Pflichtverletzungen, um einen Testamentsvollstrecker abzusetzen.
III. Zielsetzung des Württembergischen Testaments
Ehegatten, die diese Testamentsform wählen, verfolgen folgende Ziele:
1. Versorgung des überlebenden Ehegatten
Durch Vermächtnis oder Nießbrauch wird der überlebende Ehegatte finanziell und wohnlich abgesichert. Er erhält insbesondere:
- Erträge aus Immobilien (Mieteinnahmen),
- Nutzungsrechte (Wohnungsrecht, Nießbrauch im Sinne von § 1030 BGB ff.),
- Zugriff auf definierte Vermögenswerte im Rahmen eines Vermächtnisses nach § 2147 BGB ff.
Dies ermöglicht eine verlässliche Lebensplanung, ohne dass die Kinder den Elternteil wirtschaftlich von heute auf morgen „ablösen“ müssen.
2. Frühzeitige Einbindung der Kinder
Die Kinder werden sofort Erben und partizipieren damit an:
- steuerlichen Freibeträgen,
- langfristiger Vermögensbindung,
- Eigentumsaufbau ohne Erbengemeinschaft erst nach dem Tod des zweiten Elternteils.
Besonders bei größeren Vermögen oder Immobilienportfolios kann dies steuerlich erheblich vorteilhaft sein.
3. Steuerliche Optimierung
Ein zentraler Vorteil: Die Erbschaftsteuerfreibeträge der Kinder werden bereits beim ersten Erbfall genutzt – im Gegensatz zum Berliner Testament, bei dem der überlebende Ehegatte häufig als Alleinerbe eingesetzt wird und dadurch eine vermeidbare Steuerbelastung entstehen kann.
4. Vermeidung von Erbengemeinschaften nach dem zweiten Erbfall
Da die Kinder bereits Erben des ersten Erbfalls sind, werden zahlreiche spätere Streitpunkte entschärft. Der überlebende Ehegatte verwaltet lediglich den Nachlass – häufig als Testamentsvollstrecker – und nutzt ihn, ohne die Substanz zu verändern.
IV. Typische Einsatzfälle
Das Württembergische Testament ist insbesondere geeignet, wenn:
- der Nachlass Immobilien oder ertragbringende Vermögenswerte enthält,
- der überlebende Ehepartner wirtschaftlich abgesichert werden soll,
- gleichzeitig die Kinder als Erben frühzeitig eingebunden werden sollen,
- steuerliche Freibeträge optimal genutzt werden sollen,
- eine klare Trennung zwischen Nutzung (Ehegatte) und Substanz (Kinder) sinnvoll erscheint.
Bevorzugt wird dieses Modell auch dann, wenn das Familienvermögen als Einheit erhalten werden soll – etwa bei Mehrfamilienhäusern, landwirtschaftlichen Betrieben oder kleineren Unternehmen.
V. Rechtsprechung zum Württembergischen Testament
Die jüngere Rechtsprechung bestätigt regelmäßig die enge Bindung an den Erblasserwillen. Hervorzuheben ist insbesondere ein Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Az. 21 W 93/25, Beschluss vom 27.11.2025). Das Gericht entschied, dass der überlebende Ehegatte, der im Württembergischen Testament zum Testamentsvollstrecker eingesetzt wurde, nur bei grober Pflichtverletzung im Sinne von § 2227 BGB abgesetzt werden kann.
Bloße Unzufriedenheit der Kinder – etwa mit Erträgen der Immobilie oder Investitionsentscheidungen – reicht hierzu nicht aus. Diese Entscheidung stärkt die Stabilität des Modells erheblich: Die Ehegatten können darauf vertrauen, dass der überlebende Partner den Nachlass in Ruhe verwalten kann, ohne bereits frühzeitig durch Streitigkeiten mit den Kindern entmachtet zu werden.
VI. Vorteile und Nachteile der Gestaltung
Vorteile
- Sicherung des Ehegatten durch Nießbrauch und Vermächtnis auf Grundlage von § 1030 BGB ff. und § 2147 BGB ff.,
- steuerliche Entlastung durch frühzeitige Nutzung der Kinderfreibeträge,
- Erhalt des Vermögens in der Familie,
- Minimierung späterer Pflichtteils- und Erbengemeinschaftssituationen,
- hohe Planungssicherheit für alle Beteiligten,
- Vermeidung komplizierter Erbengemeinschaften nach dem Tod des zweiten Elternteils.
Nachteile und Risiken
- Kinder werden sofort Eigentümer – dies kann Finanzierungsvorhaben des Ehegatten erschweren,
- Konflikte zwischen Nießbraucher (Ehegatte) und Eigentümern (Kinder) sind denkbar,
- der überlebende Ehegatte hat keine volle Verfügungsgewalt über die Substanz,
- notwendige sorgfältige Formulierung, um spätere Streitpunkte zu vermeiden,
- Bindung an die Testamentsvollstreckung, wobei eine Entlassung gemäß § 2227 BGB nur bei grober Pflichtverletzung möglich ist.
VII. Gestaltungshinweise für ein rechtssicheres Württembergisches Testament
Um Streitigkeiten zu vermeiden, sollten folgende Punkte präzise geregelt werden:
- Klare Erbeinsetzung der Kinder nach § 1922 BGB und § 1937 BGB,
- genaue Beschreibung des Vermächtnisses nach § 2147 BGB ff. oder des Nießbrauchs nach § 1030 BGB ff.,
- Umfang der Nutzungs- und Verwaltungsrechte des Ehegatten, insbesondere als Testamentsvollstrecker nach § 2197 BGB ff.,
- Einsatz des Ehegatten als Testamentsvollstrecker und ggf. konkrete Regelung zu dessen Aufgaben, Haftung und Entlassung nach § 2227 BGB,
- Verbot oder Einschränkung bestimmter Verfügungen über den Nachlass (z. B. Grundstücksverkäufe ohne Zustimmung der Kinder),
- Regelungen zur Immobilienverwaltung, Instandhaltung und Kostentragung zwischen Nießbraucher und Eigentümern,
- Berücksichtigung steuerlicher Aspekte – idealerweise in Abstimmung mit einem Steuerberater.
Ein notarielles Testament wird insbesondere bei Immobilienvermögen dringend empfohlen, da es die spätere Nachlassabwicklung erleichtert und häufig die Vorlage eines Erbscheins entbehrlich macht.
Fazit
Das Württembergische Testament ist eine durchdachte und in der Praxis bewährte Testamentsform, die den überlebenden Ehegatten wirtschaftlich absichert und gleichzeitig die Kinder frühzeitig als Erben berücksichtigt. Es verbindet steuerliche Vorteile mit einer klaren Struktur und eignet sich insbesondere für Familien mit Immobilienvermögen oder Betriebsvermögen.
Die aktuelle Rechtsprechung – insbesondere zur Entlassung des Testamentsvollstreckers nach § 2227 BGB – bestätigt die Stabilität dieser Gestaltung. Zugleich macht sie deutlich, dass der Wille der Ehegatten, wie er im Testament niedergelegt ist, einen hohen Stellenwert hat.
Gleichwohl setzt dieses Modell eine sorgfältige juristische Ausarbeitung voraus, da Konfliktpotenzial zwischen Nießbraucher und Eigentümern besteht und Fehlformulierungen die gesamte Planung gefährden können. Für Ehepaare, die Vermögen erhalten, Streit vermeiden und steuerlich sinnvoll gestalten wollen, ist das Württembergische Testament häufig eine hervorragende Wahl. Gerade dann, wenn das Verhältnis zwischen dem überlebenden Elternteil und den Kindern bereits von Haus aus problembeladen ist oder aber die überlebende Elternteil den Kindern intellektuell weit unterlegen ist, ist diese Form der Gestaltung eines Ehegattentestaments nicht zu empfehlen, weil dann unweigerlich nicht nur Streit vorprogrammiert ist, sondern der überlebende Ehegatte in eine Rolle gedrängt wird, die ihm dann noch zusätzlich das Leben schwer macht.
Wenn Sie prüfen möchten, ob das Württembergische Testament für Ihre konkrete familiäre und wirtschaftliche Situation geeignet ist, empfiehlt sich eine individuelle erbrechtliche Beratung. Auf dieser Grundlage kann eine maßgeschneiderte Gestaltung entwickelt werden, die Ihren Wünschen und Zielen optimal entspricht.


