1. Einleitung: Von der Rettungsleine zum Risiko
Während der Pandemie wurden in kürzester Zeit Milliarden an Unternehmen, Solo-Selbständige und Freiberufler ausgezahlt. Was damals als „unbürokratische Soforthilfe“ gedacht war, entwickelt sich nun – Jahre später – zu einem rechtlichen Brennpunkt: Die Behörden fordern massenhaft Hilfen zurück, teilweise in beträchtlicher Höhe.
Die Bewilligungsstellen stützen sich dabei auf wiederkehrende Argumentationsmuster. Viele dieser Begründungen sind rechtlich angreifbar; manche wurden von Gerichten bereits als rechtswidrig eingestuft.
Der folgende Beitrag zeigt die wichtigsten Argumentationslinien der Behörden und legt offen, wo deren Schwachstellen liegen.
2. Welche Hilfsprogramme sind betroffen?
Rückforderungen betreffen vor allem:
- Corona-Soforthilfen 2020 der Bundesländer
- Überbrückungshilfen I–III / III Plus
- November- und Dezemberhilfen
- Neustarthilfe und Neustarthilfe Plus
Rechtlich handelt es sich im Kern um Billigkeitsleistungen nach dem Haushaltsrecht, insbesondere nach:
- § 23 BHO, § 44 BHO, § 59 BHO (Bundeshaushaltsordnung)
- den entsprechenden Vorschriften der Landeshaushaltsordnungen (z. B. Art. 23, 44, 59 BayHO)
- den allgemeinen Regeln der §§ 48, 49, 49a VwVfG über Rücknahme, Widerruf und Rückforderung von Verwaltungsakten
Im Einzelfall können zusätzlich strafrechtliche Aspekte eine Rolle spielen, insbesondere § 264 StGB (Subventionsbetrug).
3. Typische Argumente der Behörden bei Rückforderungen
3.1 „Es gab keinen oder nur einen geringen Liquiditätsengpass“
Viele Rückforderungsbescheide stützen sich auf die Behauptung, im Förderzeitraum sei kein ausreichender Liquiditätsengpass eingetreten. Die Behörden nutzen hierzu verschiedene Berechnungsmodelle:
- Umsatzvergleich Vorjahr / Förderzeitraum
- Abzug „ersparter Kosten“
- monatsübergreifende Saldierung
- Vergleich zur Bewilligungshöhe
Schwachstellen:
- Der ursprüngliche Zweck vieler Programme war die Abmilderung eines kurzfristigen Liquiditätsengpasses, nicht eine nachträgliche Gewinnbetrachtung.
- Gerichte haben hervorgehoben, dass der Förderzweck nicht nachträglich zu Lasten der Empfänger umgedeutet werden darf.
- Eine pauschale „Dreimonatssaldierung“ oder Gewinnbetrachtung entspricht häufig nicht dem Inhalt des Bewilligungsbescheids.
3.2 „Die Mittel wurden nicht zweckentsprechend verwendet“
Behörden argumentieren oft, die Mittel seien:
- für private Zwecke,
- für unzulässige Investitionen oder
- für die Tilgung von Altschulden
verwendet worden.
Schwachstellen:
- Richtlinien waren häufig unklar, widersprüchlich und wurden mehrfach geändert.
- Unklarheiten gehen grundsätzlich zu Lasten der Verwaltung, nicht des Antragstellers.
- Entscheidend ist die tatsächliche Liquiditätslücke, nicht jede einzelne Abbuchung – insbesondere bei Kleinstunternehmen mit gemischten Konten.
3.3 „Sie haben die Schlussabrechnung oder Rückmeldung nicht fristgerecht abgegeben“
Insbesondere bei Soforthilfen und Überbrückungshilfen behaupten die Behörden, Fristen seien versäumt worden oder Rückmeldungen seien nicht eingegangen. Teilweise wird in Bescheiden suggeriert, es gebe einen quasi automatischen vollständigen Widerruf bei unterbliebener Rückmeldung.
Schwachstellen:
- Oft fehlt ein sicherer Zustellnachweis der Rückmeldeaufforderung.
- Ein vollständiger Widerruf allein wegen eines formellen Versäumnisses kann unverhältnismäßig sein, wenn die materiellen Fördervoraussetzungen weitgehend erfüllt waren.
- Häufig findet sich keine echte Ermessensausübung, sondern lediglich ein pauschales „Alles oder nichts“.
3.4 „Sie waren gar nicht antragsberechtigt“
Betroffen sind insbesondere Solo-Selbständige und Künstler. Die Behörden argumentieren hier häufig mit:
- Unterschreitung der 51-%-Grenze für Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit im Referenzjahr,
- angeblich abhängiger Beschäftigung statt Selbständigkeit,
- unterstellten verbundenen Unternehmen.
Schwachstellen:
- Spezialregelungen, etwa für kurzfristig Beschäftigte im Kulturbereich, werden in der Verwaltungspraxis häufig ignoriert oder zu eng ausgelegt.
- Nicht selten unterstellen Behörden Arbeitsverhältnisse, wo tatsächlich projektbezogene freie Mitarbeit vorlag.
- Viele Anforderungen wurden erst später nachgeschärft; ein Rückgriff darauf verletzt den Vertrauensschutz der Empfänger.
3.5 „Sie haben falsche Angaben gemacht – Subventionsbetrug“
Einige Rückforderungsbescheide enthalten – offen oder implizit – den Hinweis auf eine mögliche Strafbarkeit nach § 264 StGB.
Schwachstellen:
- Richtlinien und FAQs wurden im Laufe der Zeit mehrfach geändert; Angaben, die zum Zeitpunkt der Antragstellung korrekt waren, können später nicht ohne weiteres als „falsch“ gewertet werden.
- Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit sind häufig nicht belegbar.
- Der bloße Hinweis auf Strafbarkeit ersetzt keine eigenständige, ordnungsgemäße Ermessensentscheidung im Sinne der §§ 48, 49, 49a VwVfG.
4. Wie Gerichte Rückforderungen beurteilen
4.1 Bindungswirkung des Bewilligungsbescheids und Vertrauensschutz
Gerichte betonen regelmäßig:
- Maßgeblich ist der Inhalt des Bewilligungsbescheids im Zeitpunkt der Bewilligung.
- Die Verwaltung darf keinen neuen Förderzweck erfinden und die Kriterien für die Rückforderung nicht nachträglich verschärfen.
- Änderungen in FAQs, auf Webseiten oder in Rundschreiben entfalten keine eigenständige Rechtswirkung gegenüber den Begünstigten.
Der Vertrauensschutz spielt dabei eine zentrale Rolle: Wer bei Antragstellung nach den damals veröffentlichten Regeln gehandelt hat, darf nicht Jahre später für nachträgliche Kurswechsel der Verwaltung haftbar gemacht werden.
4.2 Methodische Fehler: Liquiditätsberechnung
Ein weiterer Angriffspunkt sind methodische Fehler bei der Berechnung des Liquiditätsengpasses. Typische Fehler:
- Vermischung von Umsatz- und Liquiditätsbetrachtung,
- Saldierung über willkürliche Zeiträume,
- fehlende Taggenauigkeit der Berechnung,
- pauschale Abzüge ohne belastbare Grundlage.
Empfänger haben hier gute Verteidigungschancen, wenn sie die tatsächliche Liquidität im Förderzeitraum sauber nachzeichnen können – etwa mit Kontoauszügen, betriebswirtschaftlichen Auswertungen und offenen Posten-Listen.
4.3 Formelle Fehler
Viele Rückforderungsentscheidungen leiden schon an formellen Mängeln:
- Die herangezogene Rechtsgrundlage bleibt unklar oder wechselt innerhalb des Bescheids.
- Eine nachvollziehbare Begründung im Sinne des § 39 VwVfG fehlt.
- Der Bescheid besteht erkennbar aus einem Serien- oder Portalausdruck, ohne individuelle Prüfung.
Hinzu kommt: Wenn die Entscheidung vollautomatisiert getroffen wurde, ist der Anwendungsbereich des § 35a VwVfG eröffnet. Automatisierte Entscheidungen benötigen eine ausreichende gesetzliche Grundlage; eine reine Massenbearbeitung „auf Knopfdruck“ ohne Einzelfallprüfung ist rechtlich angreifbar.
4.4 Billigkeitsentscheidungen – Stundung, Erlass, Verhältnismäßigkeit
Selbst wenn ein Rückforderungsanspruch dem Grunde nach besteht, sind die Behörden nicht frei, die Forderung kompromisslos durchzusetzen. Vielmehr müssen sie das haushaltsrechtliche Billigkeitsinstrumentarium prüfen:
- Stundung oder Ratenzahlung bei vorübergehenden Liquiditätsproblemen,
- teilweiser oder vollständiger Erlass bei unzumutbarer Belastung.
Rechtsgrundlage sind insbesondere § 59 BHO und die entsprechenden Bestimmungen der Landeshaushaltsordnungen. In vielen Bescheiden fehlt jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen – ein klassischer Ermessensfehler.
4.5 Verjährung und Verwirkung
Rückforderungsansprüche verjähren in der Regel nach der dreijährigen Regelverjährung der § 195 BGB, § 199 BGB. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und die Behörde von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder grob fahrlässig nicht erlangt hat.
Neben der Verjährung spielt der Grundsatz der Verwirkung eine Rolle: Wer über Jahre hinweg untätig bleibt und das Vertrauen der Empfänger darauf stärkt, dass keine Rückforderung mehr kommt, kann sich später nicht ohne weiteres auf eine strikte Durchsetzung der Forderung berufen.
5. Fazit: Rückforderungen sind angreifbar – wer die Argumentationsmuster kennt, ist im Vorteil
Behörden nutzen zunehmend standardisierte Argumente, um Coronahilfen zurückzufordern. Doch viele dieser Begründungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Praxis zeigt:
- Rückforderungsbescheide sind kein Automatismus.
- Zahlreiche Entscheidungen leiden unter methodischen Fehlern, unzulässigen Änderungen des Förderzwecks, fehlender Begründung oder mangelnder Ermessensausübung.
- Wer den ursprünglichen Bewilligungsbescheid, die tatsächliche Liquiditätslage und die Verfahrensfehler der Behörde genau analysiert, hat sehr gute Erfolgsaussichten.
In vielen Fällen lassen sich Rückforderungen vollständig abwehren oder zumindest deutlich reduzieren. Die Verteidigung lohnt sich – nicht zuletzt, weil Gerichte inzwischen klar signalisieren, dass die Behörden bei der Rückforderung von Coronahilfen sorgfältiger vorgehen müssen, als es in der Vergangenheit häufig geschehen ist.


