In arbeitsrechtlichen Fristsachen – insbesondere bei der Zustellung einer Kündigung – spielt der Zugang der Erklärung eine zentrale Rolle. Die Frage lautet stets: Wie kann der Arbeitgeber im Streitfall beweisen, dass das Schreiben tatsächlich beim Arbeitnehmer eingegangen ist?
Viele Arbeitgeber greifen hierfür zum Einwurfeinschreiben der Deutschen Post – denn es ist kostengünstig, schnell und wirkt auf den ersten Blick rechtssicher. Die neuere Rechtsprechung zeigt jedoch: Diese vermeintliche Sicherheit ist trügerisch. Der folgende Beitrag beleuchtet, wie das Einwurfeinschreiben funktioniert, wann es üblicherweise eingesetzt wird und weshalb Gerichte seinen Beweiswert in jüngerer Zeit deutlich relativiert haben.
Was ist ein Einwurfeinschreiben – und wann wird es verwendet?
Beim Einwurfeinschreiben wird ein Brief durch den Postzusteller direkt in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers eingeworfen. Der Postmitarbeiter dokumentiert den Vorgang in seinem System; der Absender kann in der Regel den Sendungsverlauf online abrufen und häufig einen sogenannten „Auslieferungsbeleg“ herunterladen, in dem Datum und (angebliches) Zustellereignis vermerkt sind.
Dieses Zustellformat wird in der Praxis insbesondere verwendet für:
- Kündigungen im Arbeitsrecht,
- Mahnungen und Fristsetzungen,
- Widersprüche, Anfechtungs- oder Rücktrittserklärungen,
- rechtlich bedeutsame Schreiben im Miet-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht.
Der Hintergrund ist stets derselbe: Es muss bewiesen werden, dass die Erklärung dem Empfänger zugegangen ist. Der gesetzliche Maßstab findet sich in
§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach geht eine empfangsbedürftige Willenserklärung zu, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Im Prozess trägt der Absender – in arbeitsrechtlichen Konstellationen regelmäßig der Arbeitgeber – die volle Beweislast für diesen Zugang.
Die Beweisproblematik: Warum das Einwurfeinschreiben immer unsicherer wird
Lange Zeit galt das Einwurfeinschreiben als besonders geeignet, um den Zugang einer Kündigung oder eines anderen wichtigen Schreibens zu dokumentieren. Aktuelle Entscheidungen haben jedoch deutlich gemacht, dass die Beweiswirkung keineswegs so stark ist, wie häufig angenommen wird.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 30.01.2025 (2 AZR 68/24)
In einem Kündigungsschutzprozess hatte der Arbeitgeber eine Kündigung per Einwurfeinschreiben versendet. Der Arbeitnehmer bestritt den Zugang. Der Arbeitgeber legte im Prozess den Einlieferungsbeleg sowie den Online-Sendungsstatus der Deutschen Post vor und berief sich darauf, dass hieraus ein typischer Geschehensablauf und damit ein Anscheinsbeweis für den Zugang folge.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sah dies anders. Es entschied, dass das bestehende Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht beendet worden sei, weil der Arbeitgeber den Zugang des Kündigungsschreibens nicht hinreichend nachweisen konnte. Nach Auffassung des Gerichts belegen:
- der Einlieferungsbeleg lediglich die Aufgabe bei der Post,
- der Sendungsverlauf lediglich interne Bearbeitungsschritte der Post,
nicht aber den tatsächlichen Einwurf in den Briefkasten des konkreten Empfängers.
Für einen Anscheinsbeweis wäre ein typischer und hinreichend verlässlicher Geschehensablauf erforderlich. Daran fehlt es nach Ansicht des BAG, weil der Sendungsverlauf weder erkennen lässt, wer die Sendung zugestellt hat, noch zu welcher Uhrzeit, an welcher konkreten Adresse oder zumindest in welchem Zustellbezirk der Einwurf stattgefunden haben soll. Hinzu kommt, dass nicht erkennbar ist, ob die internen Vorgaben der Post im Einzelfall tatsächlich eingehalten wurden.
Konsequenz: Nach Auffassung des BAG begründen der Einlieferungsbeleg und der Sendungsverlauf allein weder einen Vollbeweis, noch ausreichend sichere Anhaltspunkte für einen Anscheinsbeweis des Zugangs. Der Arbeitgeber blieb im Ergebnis beweisfällig – die Kündigung war mangels nachgewiesenen Zugangs unwirksam.
Verhältnis zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2023 für zivilrechtliche Konstellationen ausgeführt, dass ein Anscheinsbeweis zugunsten des Absenders möglich sein kann, wenn beim Einwurfeinschreiben ein genau definiertes Zustellverfahren eingehalten wird. Hierzu zählte insbesondere, dass der Zusteller unmittelbar vor Einwurf das sogenannte „Peel-off-Label“ mit der Sendungsnummer abzieht, auf einen Auslieferungsbeleg klebt und diesen Auslieferungsbeleg sodann mit Datum und Unterschrift versieht.
Unter diesen – recht strengen – Voraussetzungen könne von einem typischen Geschehensablauf ausgegangen werden. Damit könne zwar kein Vollbeweis, aber doch ein Anscheinsbeweis für den Zugang geführt werden, der vom Empfänger erschüttert werden müsste.
Das BAG hat in seiner Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob es dieser Linie des BGH im Arbeitsrecht folgen würde. Klar ist lediglich: In dem vom BAG entschiedenen Fall lagen die strengen Anforderungen des BGH bereits tatsächlich nicht vor. Weder ein Auslieferungsbeleg noch eine detaillierte Dokumentation des Einwurfs waren vorhanden.
Konsequenzen in der Praxis: Warum das Einwurfeinschreiben nicht mehr sicher ist
Die aktuelle Rechtsprechung hat erhebliche praktische Folgen, insbesondere für Arbeitgeber, die Kündigungen aussprechen möchten:
- Ohne Auslieferungsbeleg kein tragfähiger Nachweis: Ein reiner Einlieferungsbeleg in Verbindung mit dem Online-Sendungsverlauf reicht nach der Entscheidung des BAG nicht aus, um den Zugang sicher nachzuweisen.
- Der Auslieferungsbeleg ist zeitkritisch: Selbst wenn ein Auslieferungsbeleg generiert wird, ist er nur begrenzt abrufbar. Versäumt der Arbeitgeber es, diesen rechtzeitig herunterzuladen und zu archivieren, ist der Zugangsbeweis auf Dauer verloren.
- Nur Anscheinsbeweis, kein Vollbeweis: Selbst wenn die vom BGH geforderten Voraussetzungen erfüllt wären, handelt es sich lediglich um einen Anscheinsbeweis – der Zugang ist also nicht unumstößlich bewiesen.
- Hohe Angriffsfläche im Kündigungsschutzprozess: Bestreitet der Arbeitnehmer den Zugang, gibt es zahlreiche Ansatzpunkte für richterliche Zweifel: Fehler in der Zustellkette, Verwechslungen von Briefkästen, unklare Zustellbezirke oder menschliche Fehlleistungen des Zustellers.
- Gefahr einer unwirksamen Kündigung: Gelingt der Zugangsbeweis nicht, ist die Kündigung unabhängig von ihrer inhaltlichen Berechtigung unwirksam. Das Arbeitsverhältnis besteht fort – mit allen Lohn- und Folgekosten.
Da der Zugang der Kündigung den Beginn der Dreiwochenfrist für eine Kündigungsschutzklage auslöst, ist der sicher geführte Nachweis des Zugangs für Arbeitgeber essenziell. Streitigkeiten über den Einwurfzeitpunkt oder die ordnungsgemäße Zustellung lassen sich mit der bloßen Einlieferungsbescheinigung eines Einwurfeinschreibens kaum vermeiden.
Welche Alternativen gibt es?
Wer als Arbeitgeber oder Unternehmen rechtssicher handeln möchte, sollte Zustellwege wählen, die einen deutlich höheren Beweiswert haben als das klassische Einwurfeinschreiben.
Persönliche Zustellung durch Boten oder Kurier
Die sicherste Variante ist die Zustellung durch einen Boten oder Kurier. Der Bote wirft das Schreiben in den Briefkasten des Empfängers ein und dokumentiert dies in einem Zustellprotokoll, das insbesondere enthält:
- Datum und Uhrzeit des Einwurfs,
- genaue Anschrift des Empfängers,
- Beschreibung des Briefkastens bzw. Namensschilds,
- die Erklärung, den Einwurf persönlich vorgenommen zu haben.
Der Bote kann im Prozess als Zeuge benannt werden. Das vermittelt dem Gericht in der Regel einen sehr hohen Beweiswert. Die Kosten sind im Vergleich zu einem verlorenen Kündigungsschutzprozess meist gering.
Persönliche Übergabe gegen Empfangsbestätigung
Wenn Arbeitnehmer im Betrieb anwesend sind, bietet sich die direkte Aushändigung der Kündigung an. Der Arbeitnehmer unterschreibt den Empfang auf einem Doppel des Kündigungsschreibens oder einem gesonderten Empfangsbekenntnis. Verweigert der Arbeitnehmer die Unterschrift, kann dies ebenfalls dokumentiert und von Zeugen bestätigt werden. Auch dies ist in der Praxis eine sehr sichere Methode.
Einschreiben Rückschein – scheinbar sicher, in der Praxis heikel
Das Einschreiben Rückschein wirkt für viele Absender attraktiv, weil der Rückschein eine eigenhändige Unterschrift des Empfängers enthält. In der Praxis ist diese Variante jedoch heikel: Trifft der Zusteller den Empfänger nicht an oder verweigert der Empfänger die Annahme, gilt das Schreiben grundsätzlich nicht als zugegangen. Ein „Ausweichen“ durch bloßes Nichtabholen der Sendung kann den Zugang verhindern oder zumindest mit erheblichen Unsicherheiten verbinden.
Einwurfeinschreiben – nur noch mit strengen Anforderungen
Wer trotz aller Risiken weiterhin mit Einwurfeinschreiben arbeiten möchte, sollte zumindest folgende Mindeststandards einhalten:
- Auslieferungsbeleg unverzüglich nach Zustellung herunterladen und dauerhaft archivieren,
- Sende- und Zustelldaten intern dokumentieren,
- Adressdaten mehrfach kontrollieren,
- möglichst interne Zeugen einbinden, die den Einwurf veranlassen oder begleiten.
Selbst dann bleibt es aber dabei, dass im Streitfall allenfalls ein Anscheinsbeweis geführt werden kann – kein voller, zweifelsfreier Beweis.
Fazit: Hat das Einwurfeinschreiben ausgedient?
Ein kategorisches „ausgedient“ wäre zu viel gesagt – das Einwurfeinschreiben existiert weiterhin und wird auch noch genutzt werden. Klar ist aber: Es hat seine frühere Rolle als vermeintlich verlässliches Standardinstrument für den Zugangsbeweis weitgehend verloren.
Die aktuelle Rechtsprechung zeigt deutlich, dass die Kombination aus Einlieferungsbeleg und Online-Sendungsverlauf regelmäßig nicht ausreicht, um den Zugang einer Kündigung gerichtsfest zu beweisen. Arbeitgeber, die sich weiterhin hierauf verlassen, tragen ein erhebliches Risiko: Gelingt der Nachweis des Zugangs nicht, ist die Kündigung unwirksam – selbst dann, wenn ein tragfähiger Kündigungsgrund vorgelegen hätte.
Vor diesem Hintergrund sollte jede Organisation ihre Zustellpraxis kritisch überprüfen. In vielen Fällen ist die Zustellung durch Boten oder Kurier – mit sauberer Dokumentation – die rechtlich deutlich sicherere Variante. Das Einwurfeinschreiben kann allenfalls noch als ergänzendes Instrument dienen, nicht mehr als alleinige Grundlage für den Zugangsbeweis.
Wichtig ist in jedem Fall, den Maßstab des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB stets im Blick zu behalten: Es kommt nicht auf die Absendung, sondern auf den tatsächlichen Zugang im Machtbereich des Empfängers an. Nur wer diesen Zugang gerichtsfest belegen kann, ist bei Kündigungen und anderen fristgebundenen Erklärungen rechtlich auf der sicheren Seite.


