Die Diskussion um diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen gewinnt seit Jahren an Bedeutung. Besonders häufig stellt sich die Frage, ob die Verwendung einer weiblichen Berufsbezeichnung – etwa „Rechtsanwaltsfachangestellte“ – ohne Genderzusatz (m/w/d) gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg vom 2. Mai 2024 (Az. 3 Ca 1245/23), bei der ein männlicher, abgelehnter Bewerber erfolglos wegen behaupteter Diskriminierung eine Entschädigung von 8.500 € beansprucht hat, bietet hierzu eine wichtige und praxisnahe Klärung.
1. Gesetzlicher Rahmen – geschlechtsneutrale Stellenausschreibung nach dem AGG
Arbeitgeber dürfen Bewerberinnen und Bewerber nicht wegen eines Merkmals aus § 1 AGG benachteiligen, insbesondere nicht wegen ihres Geschlechts. § 7 Abs. 1 AGG verbietet Benachteiligungen ausdrücklich. Bereits die Stellenausschreibung kann gemäß § 11 AGG eine Diskriminierung darstellen, wenn sie erkennen lässt, dass ein bestimmtes Geschlecht bevorzugt oder ausgeschlossen werden soll. Kommt ein Bewerber nicht zum Zuge und sieht er sich diskriminiert, kann er nach § 15 AGG eine Entschädigung geltend machen. Nach § 22 AGG genügt hierfür zunächst ein Indiz, das eine Benachteiligung vermuten lässt.
Entscheidend ist damit stets die Frage: Erweckt die Anzeige den Eindruck, dass nicht alle Geschlechter gemeint sind?
2. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg
Die betroffene Kanzlei veröffentlichte eine Stellenausschreibung mit der Überschrift:
„Rechtsanwaltsfachangestellte gesucht!“
Im Text hieß es:
„Wir suchen zur Unterstützung unseres Teams erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte in Vollzeit oder Teilzeit.“
Ein Genderzusatz wie „(m/w/d)“ fehlte.
Ein männlicher Bewerber, der weder eine Ausbildung zum Rechtsanwaltsfachangestellten noch relevante Berufserfahrung besaß, wurde nicht berücksichtigt. Er klagte daraufhin auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 8.500 € wegen angeblicher Geschlechtsdiskriminierung und stützte sich auf § 15 AGG.
Entscheidung des Gerichts: Keine Diskriminierung
Das Arbeitsgericht Duisburg wies die Klage ab und verneinte einen Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG:
- Die Formulierung „Rechtsanwaltsfachangestellte“ sei im Kontext des gesamten Textes erkennbar im Plural zu verstehen.
- Der Plural ist im Deutschen in dieser Konstellation geschlechtsneutral, da die Bezeichnung „Rechtsanwaltsfachangestellte“ im Plural alle Geschlechter umfasst.
- Die Überschrift allein könne zwar missverständlich sein (Femininum Einzahl versus Plural), aber der übrige Text räume diese Mehrdeutigkeit eindeutig aus.
- Ein Genderzusatz sei in dieser konkreten Konstellation nicht zwingend erforderlich, weil der Text insgesamt geschlechtsneutral wirke.
- Hinzu kam, dass der Kläger die formalen Mindestanforderungen der Stelle nicht erfüllte, sodass es bereits an der Vergleichbarkeit der Bewerbung fehlte.
Das Gericht stellte klar: Die Anzeige war insgesamt geschlechtsneutral formuliert. Es lag kein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vor.
3. Bedeutung für die Praxis von Anwaltskanzleien
Gerade Anwaltskanzleien stehen häufig vor der Frage, wie Stellenausschreibungen juristisch sauber und zugleich praxisnah formuliert werden können. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg liefert hierfür wichtige Leitlinien.
a) Pluralform bewusst nutzen – das schafft Neutralität
Wird erkennbar mehr als eine Person gesucht, kann die weibliche Berufsbezeichnung im Plural („Rechtsanwaltsfachangestellte“) geschlechtsneutral verstanden werden. Wichtig ist, dass der Text klarstellt, dass mehrere Mitarbeitende eingestellt werden sollen, etwa durch Formulierungen wie „wir suchen mehrere Rechtsanwaltsfachangestellte“.
b) Genderzusatz bleibt empfehlenswert
Auch wenn die Entscheidung zeigt, dass ein Genderzusatz nicht immer zwingend erforderlich ist, bleibt er doch der sicherste Weg, um Rechtsstreitigkeiten von vornherein zu vermeiden.
Ein Zusatz wie „(m/w/d)“ oder „(alle Geschlechter)“ signalisiert unmissverständlich: Die Stelle steht Bewerbern unabhängig vom Geschlecht offen.
c) Klarstellender Hinweis zur Offenheit für alle Geschlechter
Ein ergänzender Satz wie „Bewerbungen aller Geschlechter sind ausdrücklich willkommen“ ist rechtlich und kommunikativ sinnvoll. Er unterstreicht, dass keine Beschränkung auf ein bestimmtes Geschlecht beabsichtigt ist und stärkt die Argumentation im Fall eines späteren AGG-Verfahrens nach § 22 AGG.
d) Qualifikationsanforderungen klar und sachlich formulieren
Entscheidend ist, dass die Anforderungen an Bewerberinnen und Bewerber ausschließlich an fachlichen Kriterien ausgerichtet sind. Die Auswahlentscheidung sollte sich dokumentiert auf objektive Eignung, Befähigung und fachliche Leistung stützen. So wird das Risiko minimiert, dass abgelehnte Bewerber sich auf eine Benachteiligung nach § 1 AGG i. V. m. § 7 Abs. 1 AGG
berufen können.
e) Einzelfallbezogene Betrachtung bleibt maßgeblich
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg ist wegweisend, ersetzt aber keine Einzelfallprüfung.
Handelt es sich beispielsweise um nur eine zu besetzende Stelle, eine andere Berufsbezeichnung oder zusätzliche Formulierungen mit eindeutig weiblichem Personenbezug, kann das Ergebnis anders ausfallen. Die rechtliche Bewertung hängt stets vom vollständigen Gesamtbild der Anzeige ab.
4. Rechtsprechung zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung im Überblick
Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zeigt seit Jahren, dass Formulierungen in Stellenanzeigen ein hohes Konfliktpotenzial bergen. Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt betont, dass bereits bestimmte Formulierungen eine Vermutung einer Benachteiligung im Sinne von § 22 AGG begründen können, wenn sie ein Geschlecht erkennbar ausschließen oder bevorzugen.
Andererseits bestätigen die Gerichte ebenso, dass nicht jede grammatikalisch feminine Form automatisch diskriminierend ist. Entscheidend ist, ob für einen objektiven Betrachter erkennbar bleibt, dass die Stelle allen Geschlechtern offensteht und die Auswahlentscheidung nicht an das Geschlecht, sondern an die Qualifikation anknüpft.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg fügt sich in diese Linie ein: Sie betont, dass die Gesamtbetrachtung der Ausschreibung ausschlaggebend ist und dass eine im Plural verwendete weibliche Berufsbezeichnung in einem entsprechend neutral formulierten Kontext zulässig sein kann.
Fazit
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg macht deutlich: Eine Stellenanzeige mit der Formulierung „Rechtsanwaltsfachangestellte gesucht“ ist nicht allein deswegen geschlechtsdiskriminierend, weil eine weibliche Berufsbezeichnung ohne Genderzusatz verwendet wird.
Wird im Gesamtzusammenhang klar, dass mehrere Personen gesucht werden und kein Geschlecht ausgeschlossen werden soll, liegt regelmäßig kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus
§ 7 Abs. 1 AGG i. V. m. § 1 AGG vor.
Gleichwohl bleibt es aus anwaltlicher Sicht ratsam, Stellenausschreibungen mit einem klaren Genderzusatz („m/w/d“) zu versehen und im Text ausdrücklich zu betonen, dass Bewerbungen aller Geschlechter willkommen sind.
So werden rechtliche Risiken nach § 15 AGG und prozessuale Beweislastprobleme nach § 22 AGG minimiert – und zugleich ein modernes, inklusives Kanzleibild vermittelt, das im Wettbewerb um qualifizierte Rechtsanwaltsfachangestellte ein entscheidender Vorteil sein kann.


