In Deutschland besteht für nahezu alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein gesetzlicher Anspruch auf Mindestlohn (§ 1 MiLoG). Dieser Anspruch ist als Geldleistung ausgestaltet und darf nicht durch Sachbezüge – etwa die kostenlose Überlassung eines Firmenwagens – ersetzt werden. Jüngst hat das Bundessozialgericht (BSG) in zwei Grundsatzentscheidungen klargestellt, dass die Überlassung eines Fahrzeugs allein den Mindestlohnanspruch nicht erfüllt. Der nachfolgende Artikel erläutert die Rechtslage, die Konsequenzen und die praktische Bedeutung dieser Rechtsprechung.
1. Gesetzliche Grundlagen
Das Mindestlohngesetz (MiLoG) bestimmt in § 1 MiLoG, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, mindestens den gesetzlichen Mindestlohn in Geld zu zahlen.
In § 2 Abs. 1 MiLoG wird klargestellt, dass der Mindestlohnanspruch eine Geldleistung ist und damit eine Barvergütung geschuldet wird.
Das Sozialversicherungsrecht in § 14 Abs. 1 SGB IV zählt zwar auch geldwerte Vorteile zu den beitragspflichtigen Entgeltbestandteilen. Beim Mindestlohn hat jedoch die Zahlung in Geld Vorrang, weil der Gesetzgeber den Mindestlohn bewusst als existenzsichernde Barvergütung ausgestaltet hat.
Der Unterschied ist entscheidend: Sachbezüge können sozialversicherungsrechtlich zwar Arbeitsentgelt sein (§ 14 Abs. 1 SGB IV), sie ersetzen aber nicht die gesetzliche Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns nach § 1 MiLoG und § 2 Abs. 1 MiLoG.
2. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
In den entschiedenen Fällen hatten Arbeitgeber ihren teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern keinen Lohn in Geld gezahlt, sondern ausschließlich einen Firmenwagen überlassen.
Auf diesen geldwerten Vorteil wurden Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Die Deutsche Rentenversicherung Bund forderte jedoch Zusatzbeiträge, weil der
Mindestlohnanspruch nach dem § 1 MiLoG und § 2 Abs. 1 MiLoG nicht erfüllt worden sei.
Während die Landessozialgerichte zunächst die Arbeitgeber entlasteten, hob das Bundessozialgericht diese Urteile auf und stellte klar:
- Der gesetzliche Mindestlohnanspruch entsteht als Geldanspruch und ist auf Zahlung gerichtet, nicht auf Gewährung von Sachleistungen.
- Sachbezüge – auch wertvolle Sachleistungen wie ein Firmenwagen – können den gesetzlichen Anspruch auf Mindestlohn nicht erfüllen.
- Für die Beitragsbemessung in der Sozialversicherung ist der arbeitsrechtlich geschuldete Geldanspruch maßgeblich
(§ 14 Abs. 1 SGB IV),
unabhängig davon, wie der Anspruch tatsächlich erfüllt wird. - Selbst wenn der Sachbezug wirtschaftlich betrachtet mehr wert ist als der Mindestlohn, ändert dies nichts am Bestehen des Geldanspruchs.
- Eine Erfüllung des Mindestlohnanspruchs „an Erfüllung statt“ durch Annahme eines Firmenwagens ist ausgeschlossen.
Nach Auffassung des BSG ist ein möglicher wirtschaftlicher Überhang des geldwerten Vorteils lediglich arbeitsvertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
(zum Beispiel durch Rückforderungs- oder Ausgleichsansprüche) zu klären, führt aber nicht dazu, dass die Beitragsforderung der Rentenversicherung auf den gesetzlichen Mindestlohn entfällt.
3. Praktische Konsequenzen für Arbeitgeber
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts hat erhebliche praktische Auswirkungen und zwingt viele Unternehmen dazu, ihre Vergütungsmodelle neu zu bewerten.
Barlohnpflicht und Unzulässigkeit von Ersatz durch Sachbezug
Zentral ist die Erkenntnis, dass der Mindestlohn zwingend als Geldleistung zu erbringen ist (§ 1 MiLoG, § 2 Abs. 1 MiLoG). Firmenwagen, Kost und Logis, Tankgutscheine oder andere geldwerte Vorteile dürfen nicht an die Stelle des Mindestlohns treten, sondern allenfalls zusätzlich gewährt werden.
Betriebsprüfungen und Nachforderungen
Im Rahmen von Betriebsprüfungen wird die Deutsche Rentenversicherung Bund nun verstärkt prüfen, ob Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn tatsächlich in Geld gezahlt haben. Liegen Vergütungsmodelle vor, bei denen Arbeitnehmer überwiegend oder ausschließlich Sachbezüge erhalten, drohen erhebliche Beitragsnachforderungen. Diese können aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Verjährung über mehrere Jahre zurückreichen.
Vertragsgestaltung und Risikominimierung
Arbeitgeber sind gut beraten, ihre Arbeitsverträge und Vergütungsstrukturen anzupassen. Der Mindestlohn sollte ausdrücklich als Geldlohn vereinbart werden, wobei die Vergütung pro Stunde klar ausgewiesen ist. Sachbezüge sind als zusätzliche Leistungen zu definieren und von der Mindestlohnkomponente zu trennen. Dies ist nicht nur aus arbeitsrechtlichen Gründen erforderlich, sondern auch zur Vermeidung von Beitragsrisiken nach § 14 Abs. 1 SGB IV.
4. Konsequenzen für Arbeitnehmer
Die Rechtsprechung stärkt die Position der Arbeitnehmer deutlich. Wer keinen oder nur sehr geringen Geldlohn erhält, kann unter Berufung auf § 1 MiLoG und § 2 Abs. 1 MiLoG den gesetzlichen Mindestlohn in voller Höhe verlangen – unabhängig davon, welche Sachleistungen der Arbeitgeber gewährt hat.
Selbst wenn Arbeitnehmer einen Firmenwagen oder andere geldwerte Vorteile nutzen konnten, bleibt der Mindestlohnanspruch als Geldforderung bestehen. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer Lohnnachforderungen für die Vergangenheit geltend machen können, sofern noch keine Verjährung eingetreten ist. Im Streitfall können diese Ansprüche vor den Arbeitsgerichten durchgesetzt werden.
5. Bedeutung für die Vergütungspraxis
Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts führen zu einer deutlichen Klarstellung: Der gesetzliche Mindestlohn ist als Untergrenze einer existenzsichernden Barvergütung konzipiert.
Wäre es zulässig, diesen Mindestlohn vollständig durch Sachleistungen zu erfüllen, bestünde die Gefahr, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwar rechnerisch „vergütet“ werden,
ihnen jedoch tatsächlich kein oder nur unzureichender Geldlohn zur Verfügung steht. Genau dies soll § 1 MiLoG verhindern.
Die Rechtsprechung führt dazu, dass bisherige Vergütungsmodelle, in denen Sachbezüge einen sehr großen Anteil an der „Vergütung“ hatten, rechtlich neu bewertet werden müssen.
Insbesondere in Branchen mit Teilzeit- und Minijobs müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass der Mindestlohn als Geldzahlung tatsächlich erreicht wird.
6. Empfehlungen für die Praxis
Für Arbeitgeber
- Klarstellung im Arbeitsvertrag, dass der gesetzliche Mindestlohn als Geldlohn gezahlt wird.
- Getrennte Ausweisung von Geldlohn und Sachbezügen in der Gehaltsabrechnung.
- Überprüfung bestehender Modelle, bei denen ein Firmenwagen oder andere Vorteile als „Vergütungsersatz“ eingesetzt wurden.
- Vorbereitung auf mögliche Nachforderungen der Sozialversicherungsträger auf Grundlage von § 14 Abs. 1 SGB IV.
- Gegebenenfalls Anpassung oder Neuverhandlung von Verträgen mit Arbeitnehmern.
Für Arbeitnehmer
- Prüfung, ob der tatsächlich erhaltene Geldlohn dem gesetzlichen Mindestlohn entspricht.
- Keine vorschnelle Annahme, dass Sachleistungen wie Firmenwagen, Unterkunft oder Verpflegung den Mindestlohn „ersetzen“ dürfen.
- Im Zweifel rechtliche Beratung einholen, um mögliche Nachzahlungsansprüche durchzusetzen.
Fazit
Das Bundessozialgericht hat unmissverständlich klargestellt: Der gesetzliche Mindestlohn kann nicht durch Sachbezüge erfüllt werden.
Firmenwagen, Tankgutscheine oder andere geldwerte Vorteile sind keine Ersatzleistung für den nach § 1 MiLoG und § 2 Abs. 1 MiLoG geschuldeten Geldlohn. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass der Mindestlohn vollständig in Geld gezahlt wird, andernfalls drohen nicht nur erhebliche Beitragsnachforderungen der Sozialversicherungsträger, sondern auch Lohnnachforderungen der Arbeitnehmer.
Die Entscheidungen stärken die Schutzfunktion des Mindestlohns, schaffen Rechtssicherheit und machen deutlich, dass kreative Vergütungsmodelle ihre Grenze dort finden, wo der gesetzliche Mindestschutz von Beschäftigten berührt wird.


