Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Bewerber vor Diskriminierung – auch im Bewerbungsverfahren. In den letzten Jahren hat sich jedoch eine neue Problematik herausgebildet: sogenannte Scheinbewerber, auch „AGG-Hopper“ genannt, die sich nicht ernsthaft auf eine Stelle bewerben, sondern gezielt Diskriminierung provozieren, um Entschädigungen nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen. Ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 20.03.2025 (Az. 2 Ca 1084/24), in dem ein Unternehmen zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 6.000 € verurteilt wurde, verdeutlicht die rechtlichen und prozesstaktischen Herausforderungen für Arbeitgeber in solchen Fällen – und liefert zugleich wichtige Lehren für die Verteidigung.
Der Fall: Bewerbung, Absage, Entschädigung
Ein gelernter Bankkaufmann, Jahrgang 1972, bewarb sich auf eine Stelle als Empfangsmitarbeiter in einem Hotelbetrieb. Die Stellenausschreibung enthielt unter anderem die Formulierung, dass der Bewerber ein „junges Team“ erwarte. Nach einer Absage verlangte der Kläger eine Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro – zwei geschätzte Bruttomonatsgehälter –, gestützt auf eine behauptete Altersdiskriminierung.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Es stützte seine Entscheidung auf § 22 AGG, wonach bereits das Vorliegen von Indizien ausreicht, um eine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals zu vermuten. Die Formulierung „junges Team“ reichte nach Auffassung des Gerichts aus, um eine altersbezogene Benachteiligung nahezulegen. Die Beklagte konnte die Vermutung nicht widerlegen – unter anderem, weil sie den erhobenen Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht substantiiert begründete.
Was ist ein AGG-Hopper – und was macht die Abwehr so schwer?
Ein AGG-Hopper ist eine Person, die sich bewusst auf Stellenanzeigen mit potenziell diskriminierenden Formulierungen bewirbt, ohne jemals ernsthaft an der angebotenen Tätigkeit interessiert zu sein. Ziel ist es allein, Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen.
Keine echte Bewerbung erforderlich
Die Schwierigkeit für Arbeitgeber liegt darin, dass das AGG keine ernsthafte Bewerbungsabsicht als Anspruchsvoraussetzung verlangt. Vielmehr genügt es, wenn der Bewerber formell geeignet ist und Indizien für eine Diskriminierung vorliegen. Ein pauschaler Einwand, der Bewerber sei ein „AGG-Hopper“, reicht nicht aus, um die Anspruchsgrundlage zu entkräften.
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht hat die Hürden für einen erfolgreichen Einwand des Rechtsmissbrauchs in der Entscheidung vom 19.05.2016 (Az. 8 AZR 470/14) ausdrücklich hoch angesetzt. Danach ist ein Missbrauch des Rechts nur dann anzunehmen, wenn objektive und subjektive Voraussetzungen erfüllt sind:
- Objektiv: Der Bewerber zeigt ein planmäßiges, auf wiederholte Entschädigung gerichtetes Verhalten.
- Subjektiv: Es fehlt an einer ernsthaften Absicht zur Aufnahme einer Beschäftigung.
Die Schwächen in der Verteidigung im Fall des Arbeitsgerichts Suhl
Im Suhler Verfahren versuchte die beklagte Arbeitgeberin zwar, den Kläger als AGG-Hopper darzustellen. Das Gericht stellte jedoch ausdrücklich fest, dass der Vortrag unsubstantiiert war. Es fehlten jegliche Beweise oder konkrete Hinweise auf frühere, gleichgelagerte Fälle oder auf ein systematisches Vorgehen des Klägers.
Zudem wurde der Vortrag nur mündlich in der Verhandlung erhoben, nicht jedoch schriftlich vorbereitet oder durch Dokumente untermauert. In einem solchen Fall kommt es nicht einmal zu einer ernsthaften Prüfung des Missbrauchseinwands.
Was Arbeitgeber stattdessen vortragen müssen
Wer sich gegen die Entschädigungsklage eines Scheinbewerbers verteidigen will, muss konkret und substantiiert vortragen – und das rechtzeitig, also bereits in der ersten Instanz. Eine bloße Behauptung, der Kläger sei „offenkundig kein ernsthafter Bewerber“, genügt nicht. Erforderlich sind:
- Eine Auflistung früherer Klageverfahren des Bewerbers mit vergleichbarem Vortrag
- Der Nachweis, dass sich der Bewerber regelmäßig auf unpassende oder „unterqualifizierte“ Stellen bewirbt
- Hinweise auf identische Bewerbungsschreiben oder standardisierte Lebensläufe
- Ggf. die Beiziehung anderer Urteile oder Medienberichte, die ein systematisches Verhalten belegen
Dieser Vortrag sollte mit Beweisanträgen verbunden werden, z. B. auf Beiziehung von Akten aus Parallelverfahren oder Vernehmung von Zeugen, etwa ehemaligen Personalverantwortlichen.
Stellenausschreibungen diskriminierungsfrei formulieren
Unabhängig vom Verhalten des Bewerbers ist es entscheidend, bereits bei der Formulierung der Stellenausschreibung größte Sorgfalt walten zu lassen. Begriffe wie „junges Team“, „dynamische Verstärkung“ oder gar „frisch aus der Ausbildung“ sollten vermieden oder eindeutig als Selbstbeschreibung des Unternehmens kenntlich gemacht werden.
§ 11 AGG verlangt eine geschlechts- und altersneutrale Ausschreibung. Der kleinste Formulierungsfehler kann im Ernstfall ausreichen, um die Beweislast zu Lasten des Arbeitgebers zu verschieben.
Fazit
Das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl ist ein Weckruf für Arbeitgeber: Die Verteidigung gegen AGG-Hopper gelingt nur mit sorgfältiger Vorbereitung, präzisem Vortrag und fundierter Beweisführung. Wer pauschal argumentiert oder sich auf Vermutungen stützt, läuft Gefahr, unterlegen zu sein – selbst bei erkennbar missbräuchlichem Verhalten des Klägers.
Sinnvoll ist es, diskriminierungsfreie Stellenanzeigen juristisch überprüfen zu lassen und ein internes Bewerbermanagementsystem zu etablieren, das die Abläufe dokumentiert und im Ernstfall als Beweisquelle dient.
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