Max (Name geändert) ist das, was man einen Aufsteiger nennt. Als Kind russlanddeutscher Spätaussiedler hat er sich mit Disziplin und Durchhaltevermögen durch das deutsche Bildungssystem gearbeitet. Heute ist er Facharzt in einer bayerischen Klinik. Er liebt seinen Beruf, ist engagiert, fährt zusätzlich Notarzteinsätze und arbeitet im Durchschnitt 60 Stunden pro Woche – das sind 240 Stunden im Monat, also 100 Stunden mehr als der Durchschnittsarbeitnehmer.
Max verdient gut – rund 120.000 € brutto pro Jahr. Doch geschenkt bekommt er dafür nichts. Er steht früh auf, macht Doppelschichten und übernimmt regelmäßig Wochenenddienste. Auch privat hat Max Verantwortung übernommen: Er hat zwei Kinder großgezogen, beiden ein Studium finanziert, die Ehe mitgetragen, sich nie auf dem Sozialsystem ausgeruht.
Umso größer war der Schock, als Max kürzlich ein Schreiben des Sozialhilfeträgers erhielt: Er soll für seinen Vater monatlich 1.700 € Elternunterhalt bezahlen – rückwirkend, versteht sich. Seine Mutter lebt ebenfalls im Pflegeheim, auch hier droht Regress. Max fühlt sich verraten. Er zahlt bereits mehr als 50.000 € Steuern und Abgaben jährlich, darunter auch mehrere 1000 € Solidaritätszuschlag, der eigentlich abgeschafft sein sollte. Und jetzt soll er auch aufgrund staatlicher Anordnung noch für seine Eltern zahlen? Max versteht die Welt nicht mehr. Nicht, dass er nicht seine Eltern unterstützen möchte. Das hatte bereits bisher getan. Was ihn stört ist, dass er durch seinen überobligatorischen Einsatz doppelt zur Kasse gebeten wird: einmal zahlt er mehr Steuern als viele Menschen verdienen und Solidaritätszuschlag und nun auch noch zwangsweise Elternunterhalt und das, obwohl sein Einkommen zum Teil auch dadurch zustande kommt, dass er deutlich mehr arbeitet als ein Großteil der Bevölkerung. Es fällt ihm schwer das zu verstehen.
Was ist Elternunterhalt – und wer muss zahlen?
Wenn pflegebedürftige Eltern die Heimkosten nicht selbst tragen können, springt der Sozialhilfeträger ein. Grundlage dafür ist § 94 SGB XII, der es erlaubt, Unterhaltsansprüche auf den Träger zu übertragen. Die Kinder können dann zur Zahlung herangezogen werden.
Seit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz 2020 gibt es jedoch eine Schutzgrenze:
Erst ab einem Bruttojahreseinkommen über 100.000 € darf Regress genommen werden, (§ 94 Abs. 1a SGB XII)
Wie wird die 100.000 €-Grenze berechnet?
Maßgeblich ist das gesamte steuerpflichtige Einkommen gemäß § 2 Abs. 1 EStG, also Einkünfte aus:
- nichtselbstständiger Arbeit,
- selbstständiger Tätigkeit,
- Kapitalvermögen,
- Vermietung und Verpachtung,
- und sonstigen Einkünften.
Bereits bei geringfügiger Überschreitung der 100.000 €-Grenze beginnt die vollständige Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit.
Wie wird der Elternunterhalt berechnet?
1. Bereinigtes Nettoeinkommen
Vom Nettoeinkommen werden abgezogen:
- Steuern und Sozialabgaben,
- angemessene Altersvorsorge (bis zu 10 % des Bruttoeinkommens),
- berufsbedingte Aufwendungen (z. B. Fahrtkosten),
- angemessene Kreditverpflichtungen,
- ggf. andere Unterhaltspflichten (z. B. für Kinder).
2. Selbstbehalt
Dem Unterhaltspflichtigen steht ein Selbstbehalt von derzeit mindestens 2.000 € monatlich zu, bei Ehepaaren liegt der Familienselbstbehalt zwischen 3.600 € und 4.000 €.
3. Verteilungsquote
Vom verbleibenden Überschuss kann der Sozialhilfeträger 50 % als Elternunterhalt geltend machen.
Darf Max seine Arbeitszeit reduzieren?
Grundsätzlich gilt: Wer seine Erwerbstätigkeit willentlich einschränkt, um Unterhaltspflichten zu entgehen, riskiert, dass ihm ein fiktives Einkommen unterstellt wird. So hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen (z. B. BGH, Beschluss v. 24.09.2014 – XII ZB 111/13) klargestellt: Wer leistungsfähig ist, muss auch zumutbar arbeiten.
Max arbeitet jedoch deutlich über das übliche Maß hinaus (ca. 60 statt 40 Wochenstunden). Eine Rückführung auf ein „normales Maß“ ist daher nicht automatisch rechtsmissbräuchlich. Der darüberhinausgehende Teil seiner Tätigkeit gilt als überobligatorisch und kann bei der Berechnung unberücksichtigt bleiben.
Eigentumswohnung zur Vermietung – steuerlich klug, unterhaltsrechtlich ungünstig?
Eine vermietete Eigentumswohnung bringt zwar steuerliche Vorteile, mindert aber unterhaltsrechtlich nicht automatisch das Einkommen. Zwar können Zinsen als Abzugsposten berücksichtigt werden, die Tilgung dagegen nicht. Nachdem die erzielte Miete wiederum als Einkommen zu geändert, spielt also nur die Differenz zwischen der Mieteinnahme einerseits und der Zinszahlung andererseits eine Rolle.
Besser: selbst genutzte Immobilie mit Kredit
Deutlich sinnvoller ist es, wenn Max eine selbst bewohnte Immobilie finanziert. Nach aktueller Rechtsprechung (BGH, Beschluss v. 09.03.2022 – XII ZB 233/21) dürfen Zins- und Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnvorteils vom Einkommen abgezogen werden.
Allerdings gilt:
- Der Wohnvorteil bemisst sich an der ersparten Miete.
- Tilgung über das Maß des Wohnvorteils hinaus bleibt unberücksichtigt.
- Ein Immobilienkauf nur zur Reduzierung des Unterhalts wird ggf. als Rechtsmissbrauch gewertet.
Fazit: Leistung schützen – mit rechtssicherer Gestaltung
Der Fall von Max steht beispielhaft für viele Leistungsträger, die sich durch überdurchschnittliches Engagement eine Existenz aufgebaut haben – und plötzlich zur Kasse gebeten werden. Elternunterhalt ist dabei kein Zeichen der Gerechtigkeit, sondern oftmals das Ergebnis einer unzureichenden sozialen Steuerung.
Wer betroffen ist, sollte seine Situation frühzeitig prüfen lassen und folgende Handlungsspielräume nutzen:
- Moderat überobligatorische Tätigkeiten zurückfahren,
- selbst genutztes Wohneigentum zur Altersvorsorge erwerben,
- alle rechtlich zulässigen Abzüge geltend machen (z. B. Altersvorsorge, Kredite),
- keine abrupten „Strategieänderungen“ nach Zugang einer Regressforderung vornehmen.
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