In modernen Arbeitsverhältnissen spielt die variable Vergütung eine immer größere Rolle. Viele Arbeitnehmer erhalten neben einem monatlichen Fixum zusätzliche leistungsabhängige Entgeltbestandteile wie Boni, Provisionen oder jährliche Erfolgsprämien. Gerade im Vertrieb oder bei Zielvereinbarungssystemen kann dieser variable Teil einen erheblichen Anteil des Gesamteinkommens ausmachen.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie sich Arbeitsausfälle – etwa durch Krankheit oder Elternzeit – auf diese variablen Bezüge auswirken. Die Diskussion ist hochaktuell, denn das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 2. Juli 2025 zwei Grundsatzentscheidungen (10 AZR 119/24 und 10 AZR 193/24) gefällt, die die Anspruchsvoraussetzungen und Kürzungsmöglichkeiten bei variabler Vergütung deutlich neu justieren.
Der Fall und die Entscheidung des BAG
Im zugrunde liegenden Fall des Urteils 10 AZR 119/24 verlangte ein Außendienstmitarbeiter die volle erfolgsabhängige Prämie für das Jahr 2022. Seine Organisationseinheit hatte das Jahresziel mit 148 % deutlich übererfüllt. Er selbst war jedoch für zwei Monate in Elternzeit. Der Arbeitgeber kürzte daraufhin die Jahresprämie um 7.416,36 €.
Während das Arbeitsgericht Düsseldorf die Klage zunächst für begründet hielt, wies das LAG Düsseldorf sie weitgehend ab. Das BAG bestätigte nun die Kürzung und stellte klar: Variable Vergütung ist – sofern keine anderslautende Vereinbarung besteht – ein arbeitsleistungsbezogener Vergütungsbestandteil. Damit gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ auch hier.
Ein gleich gelagerter Fall (10 AZR 193/24) betraf einen Arbeitnehmer, der im maßgeblichen Jahr 149 Tage ohne Entgeltfortzahlung erkrankt war. Auch hier entschied das BAG, dass die variable Vergütung für die Ausfallzeiten anteilig wegfällt.
Zentral war in beiden Fällen die Auslegung der maßgeblichen Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV): Fixum und variable Vergütung wurden darin als gemeinsames „Zieleinkommen“ bezeichnet. Dieses Zieleinkommen sei – so das BAG – insgesamt arbeitsleistungsbezogen. Die variable Vergütung habe keinen Gratifikations- oder Sozialleistungscharakter, sondern diene ausschließlich der Honorierung der tatsächlichen Arbeitsleistung.
Rechtliche Grundlagen und arbeitsrechtliche Prinzipien
Die Entscheidungen stützen sich auf das arbeitsrechtliche Austauschverhältnis (Synallagma). Die Vergütung nach § 611a BGB, § 612 BGB und § 614 BGB steht der Arbeitsleistung gegenüber.
Die wesentlichen tragenden Grundsätze lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. „Ohne Arbeit kein Lohn“
Der Arbeitgeber schuldet Vergütung grundsätzlich nur für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. Ausnahmen – etwa die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach
§ 3 ff. EFZG – beruhen auf ausdrücklichen gesetzlichen Wertungen. Auch in diesen Konstellationen ist die Zahlungsverpflichtung also nicht leistungslos, sondern folgt speziellen Schutzvorschriften.
2. Variable Vergütung ist Teil des Synallagmas
Soweit der variable Teil der Vergütung an den Arbeitserfolg oder die Mitarbeit am betrieblichen Ergebnis anknüpft, ist er ebenso an die Arbeitsleistung gebunden wie das Fixum. Der Anspruch auf variable Vergütung ist dann ebenfalls durch das Gegenseitigkeitsverhältnis von Arbeit und Lohn im Sinne von § 611a BGB, § 612 BGB und § 614 BGB geprägt.
3. Keine ausdrückliche Kürzungsklausel erforderlich
Das BAG stellt klar, dass für den Wegfall der variablen Vergütung in Ausfallzeiten keine besondere vertragliche Kürzungsklausel erforderlich ist. Der Wegfall ergibt sich unmittelbar aus der arbeitsleistungsbezogenen Natur der Zahlung und den allgemeinen Regelungen der §§ 611a, 612, 614 BGB.
Die Grundregel lautet: Wo keine Arbeitspflicht besteht und kein gesetzlicher Ausnahmetatbestand (z. B. § 3 ff. EFZG ) greift, entsteht regelmäßig auch kein Vergütungsanspruch.
4. Abweichungen nur durch klare Regelungen
Abweichende tarifliche, betriebliche oder individuelle Vereinbarungen können etwas anderes bestimmen. Ohne eine solche ausdrückliche Vereinbarung bleibt es jedoch beim arbeitsrechtlichen Regelfall. Soll variable Vergütung etwa unabhängig von der tatsächlichen Arbeitsleistung als reine Gratifikation für Betriebstreue gewährt werden, muss dies in der Vertragsgestaltung klar zum Ausdruck kommen. Andernfalls gilt die Systematik der §§ 611a, 612, 614 BGB.
Praktische Bedeutung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Die Entscheidungen des BAG haben erhebliche praktische Relevanz.
Für Arbeitnehmer: Gerade in Branchen mit hohen variablen Vergütungsbestandteilen können Krankheit oder Elternzeit nun zu deutlichen finanziellen Einbußen führen – selbst dann, wenn die Ziele übererfüllt wurden. Wer über eine Elternzeit nachdenkt oder längere Ausfallzeiten befürchtet, sollte im Vorfeld seine Vertragsregelungen prüfen oder sich anwaltlich beraten lassen.
Für Arbeitgeber: Die Urteile geben wertvolle Rechtssicherheit. Zugleich zeigt sich, wie wichtig eine klare Gestaltung von Bonus- und Zielvereinbarungssystemen ist. Empfehlenswert sind insbesondere:
- eine eindeutige Definition, ob Prämien rein erfolgsabhängig oder arbeitsleistungsbezogen sind,
- klare Regelungen zu Fehlzeiten, Elternzeit und Krankheit,
- präzise Bestimmungen zur Berechnung des Zielerreichungsgrades.
Dies verhindert spätere Streitigkeiten und stärkt die Transparenz für beide Vertragsparteien.
Grenzen und Einzelfallkonstellationen
Trotz der klaren Linie des BAG gibt es Situationen, in denen der Anspruch auf variable Vergütung nicht automatisch entfällt. Hierzu zählen insbesondere:
- Gratifikationszahlungen, die vorrangig Betriebstreue honorieren,
- Bindungsprämien oder Sonderzahlungen ohne unmittelbaren Leistungsbezug,
- Zahlungen mit Stichtagscharakter, bei denen die Arbeitsleistung nicht maßgeblich ist,
- vertragliche oder tarifliche Regelungen, die ausdrücklich eine Zahlung auch bei Elternzeit oder Krankheit vorsehen.
Die Einordnung solcher Zahlungen ist juristisch oft komplex und hängt von der Auslegung der konkreten Regelung ab. Hier ist eine differenzierte Prüfung im Einzelfall erforderlich, bei der neben dem Wortlaut auch der Gesamtzusammenhang und der wirtschaftliche Zweck der Zahlung zu berücksichtigen sind.
Fazit
Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 2. Juli 2025 (10 AZR 119/24 und 10 AZR 193/24) schaffen Klarheit: Variable Vergütung ist grundsätzlich arbeitsleistungsbezogen. Damit mindern Zeiten ohne Arbeitsleistung – wie Elternzeit oder längere krankheitsbedingte Ausfälle ohne Entgeltfortzahlung – den Anspruch auf Bonus, Erfolgsprämie oder Produktionsvergütung. Die allgemeine arbeitsrechtliche Systematik der §§ 611a, 612, 614 BGB und die Ausnahmen – insbesondere nach § 3 ff. EFZG – werden konsequent auf variable Vergütungsbestandteile übertragen.
Für Arbeitnehmer bedeutet dies: Die finanzielle Planung sollte die Möglichkeit gekürzter Prämien bei Elternzeit oder längerer Krankheit einbeziehen. Für Arbeitgeber gilt: Klare und transparente Regelungen zur variablen Vergütung sind unverzichtbar, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und die Vergütungsordnung insgesamt rechtssicher auszugestalten.
Da die Einzelfallgestaltung entscheidend ist, empfiehlt es sich für beide Seiten, arbeitsvertragliche Vereinbarungen oder Betriebsvereinbarungen frühzeitig prüfen zu lassen. Als spezialisierte Kanzlei im Arbeitsrecht unterstützen wir Sie gerne bei der rechtssicheren Gestaltung, Überprüfung oder Durchsetzung variabler Vergütungsansprüche.


