In vielen Versicherungsverträgen wird geregelt, wer im Todesfall Anspruch auf die Versicherungsleistung haben soll – insbesondere bei Unfallversicherungen. Häufig werden die gesetzlichen Erben benannt. Doch was passiert, wenn diese gesetzlichen Erben die Erbschaft ausschlagen? Verlieren diese dann die Bezugsberechtigung? Durch den neuen Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23. Juli 2025 (XII ZA 16/25) ist diese Frage geklärt worden – mit wichtigen Konsequenzen.
Sachverhalt des BGH‑Beschlusses XII ZA 16/25
Der Erblasser hatte eine Unfallversicherung mit Todesfallsumme abgeschlossen und als Bezugsberechtigte im Todesfall seine „gesetzlichen Erben“ benannt. Nach seinem Tod schlugen sämtliche Erben – Kinder, Schwestern, Mutter – die Erbschaft aus. Der Versicherer verweigerte die Auszahlung, da angeblich keine gesetzlichen Erben vorhanden seien, die die Erbschaft angenommen hätten. Ein Nachlasspfleger beantragte die Bestellung eines Pflegers für unbekannte Beteiligte nach § 1882 Satz 1 BGB, um Zugriff auf die Versicherungssumme zu erhalten. Der BGH sah dafür jedoch keine Veranlassung.
Rechtliche Grundlagen
§ 159 VVG – Bezugsberechtigung
Diese Vorschrift erlaubt dem Versicherungsnehmer, bestimmte Personen als Bezugsberechtigte zu benennen. Das Bezugsrecht kann widerruflich oder unwiderruflich ausgestaltet sein.
§ 160 VVG – Bezugsrechte der Erben
Wenn der Versicherungsnehmer als Bezugsberechtigte seine „gesetzlichen Erben“ benennt, sind im Zweifel diejenigen bezugsberechtigt, die zum Zeitpunkt des Todes gesetzliche Erben sind. Entscheidend: Eine Ausschlagung der Erbschaft hat laut § 160 Abs. 2 Satz 2 VVG keinen Einfluss auf die Bezugsberechtigung.
§ 1882 BGB – Pflegschaft für unbekannte Beteiligte
Diese Norm erlaubt die Bestellung eines Pflegers, wenn unklar ist, wer Anspruchsinhaber ist. Das Gericht kann in solchen Fällen einen Pfleger für unbekannte Beteiligte bestellen.
Wesentliche Aussagen des BGH
Der BGH stellt klar:
- § 160 Abs. 2 Satz 2 VVG regelt ausdrücklich, dass die Bezugsberechtigung nicht davon abhängt, ob der Erbe die Erbschaft annimmt.
- Wer zum Zeitpunkt des Todes gesetzlicher Erbe war, bleibt bezugsberechtigt – auch wenn die Erbschaft ausgeschlagen wurde.
- Die Benennung „gesetzlicher Erben“ individualisiert lediglich die Anspruchsinhaber, ersetzt aber nicht die zivilrechtliche Erbannahme.
- Da die Bezugsberechtigten feststehen, liegt kein Fall für § 1882 BGB vor. Eine Pflegschaft ist nicht erforderlich.
Praktische Konsequenzen
Die Entscheidung hat erhebliche praktische Konsequenzen:
Kein Verlust der Bezugsberechtigung
Wer als gesetzlicher Erbe bezugsberechtigt ist, bleibt dies auch bei Erbausschlagung. Ein gegenteiliger Hinweis des Versicherers ist unbeachtlich.
Keine Anwendung des § 1882 BGB
Eine Pflegschaft für unbekannte Beteiligte ist nicht erforderlich, wenn die gesetzlich Bezugsberechtigten bestimmbar sind – auch wenn sie ausgeschlagen haben.
Nachlasspfleger kann tätig werden
Der Nachlasspfleger kann die gesetzlichen Bezugsberechtigten auf Abtretung der Ansprüche gegen den Versicherer ansprechen, um die Versicherungssumme für den Nachlass zu sichern.
Verhalten des Versicherers rechtlich fraglich
Die Auffassung, eine Leistung komme nur bei Annahme der Erbschaft in Betracht, ist mit § 160 Abs. 2 Satz 2 VVG nicht vereinbar.
Praktische Hinweise für Erben
- Versicherungsverträge stets auf Formulierungen zur Bezugsberechtigung prüfen.
- Bei Ausschlagung: Klären, ob dennoch ein Anspruch auf Versicherungsleistungen besteht.
- Nachlasspfleger sollten Bezugsberechtigte direkt auf Abtretung ansprechen, statt Pflegschaften anzuregen.
- Bei Ablehnung der Auszahlung durch den Versicherer: auf § 160 VVG verweisen.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bringt rechtliche Klarheit: Die Ausschlagung der Erbschaft berührt die Bezugsberechtigung in einer Unfallversicherung nicht. Gesetzliche Erben, die das Erbe ausschlagen, bleiben bezugsberechtigt, sofern sie zum Todeszeitpunkt zur Erbfolge berufen waren. Damit verhindert der Gesetzgeber über § 160 Abs. 2 VVG ein Auseinanderfallen von Versorgungssicherheit und zivilrechtlicher Erbannahme. Für Versicherungsnehmer, Erben und Nachlasspfleger ist diese Klarstellung von erheblicher Bedeutung. Bei Unsicherheit sollte rechtliche Beratung in Anspruch genommen werden – gerade wenn Versicherer sich auf fehlerhafte Voraussetzungen berufen.