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Wenn eine „Individualerklärung“ zum Testament wird – Zur Bedeutung informeller Schreiben als Verfügung von Todes wegen

28. November 2025 | von Rechtsanwalt Helmut A. Graf | Kategorie: Erbrecht

Im Erbrecht besteht weit verbreitet die Vorstellung, dass ein Testament nur dann wirksam ist, wenn der Erblasser ein klassisches Dokument mit klarer Überschrift, Ort, Datum und eindeutiger Testamentsform errichtet. Zwar verlangt das Gesetz bei eigenhändigen Testamenten strenge Formvorschriften, insbesondere § 2247 Abs. 1 BGB. Dennoch zeigt eine aktuelle Entscheidung des OLG München, dass auch unscheinbare und scheinbar nebensächliche Schriftstücke rechtlich bindende Verfügungen von Todes wegen enthalten können – sofern sie mit Testierwillen errichtet worden sind.

Der aktuelle Fall des OLG München – Überblick

Dem Beschluss des OLG München vom 09.10.2025 (Az. 33 Wx 44/25) lag folgender Fall zugrunde: Ein Erblasser hatte im Jahr 1999 ein handschriftliches Testament verfasst, in dem er seine Lebensgefährtin zur Alleinerbin einsetzen wollte. Eine Unterschrift fehlte jedoch – das Testament war daher formunwirksam im Sinne des § 2247 Abs. 1 BGB.

Im Jahr 2002 verfasste der Erblasser ein weiteres Schriftstück, in dem er den Erhalt eines Darlehens seiner Lebensgefährtin bestätigte und ausdrücklich anordnete, dass die Darlehenssumme im Fall seines Todes vom Nachlass abzuziehen und seiner Lebensgefährtin „als Erbin“ zugutekommen solle. Dieses Schreiben war handschriftlich erstellt und eigenhändig unterschrieben.

Das Nachlassgericht wollte gleichwohl einen Erbschein zugunsten der gesetzlichen Erbin erteilen. Auf Beschwerde hin entschied das OLG München jedoch, dass das Schreiben von 2002 eine formwirksame und inhaltlich eindeutige Verfügung von Todes wegen darstellt und die Lebensgefährtin Erbin geworden ist.

Rechtliche Grundlagen: Form und Testierwille

Formvorschriften des § 2247 BGB

Eigenhändige Testamente müssen vollständig handschriftlich verfasst und vom Erblasser eigenhändig unterschrieben sein. Dies ergibt sich aus § 2247 Abs. 1 BGB.
Der Zweck der Unterschrift liegt nicht nur in der Echtheitsbestätigung, sondern auch darin, den Willen des Erblassers zum Abschluss der letztwilligen Verfügung zu dokumentieren.

Fehlt eines dieser Elemente – wie im Testament von 1999 – führt dies zur Formunwirksamkeit nach § 125 BGB.

Das Schreiben von 2002 erfüllte dagegen alle Formerfordernisse der § 2247 BGB: es war handschriftlich verfasst, eigenhändig unterschrieben und vom Erblasser abschließend formuliert.

Der Testierwille als zentrales Kriterium

Nicht jede eigenhändige Erklärung ist automatisch ein Testament. Der Erblasser muss bereits beim Erstellen des Schriftstücks den ernsthaften Willen gehabt haben, eine verbindliche letztwillige Verfügung zu treffen. Dieser sogenannte Testierwille ist eigenständig festzustellen und folgt nicht allein daraus, dass eine Urkunde die Form des § 2247 BGB wahrt.

Der Testierwille wird ermittelt aus:

  • Wortlaut und Inhalt der Erklärung,
  • äußeren Umständen der Errichtung,
  • Lebenssituation des Erblassers,
  • früheren Erklärungen oder Absichten sowie
  • Art und Weise der Aufbewahrung der Urkunde.

Das OLG München stellte fest, dass das Schreiben zwar formal mit einer „Bestätigung“ eines Darlehens begann, jedoch eine eindeutige Anordnung für den Todesfall („im Falle meines Todes“) enthielt und die Lebensgefährtin ausdrücklich als „Erbin“ bezeichnete. Das genügte, um einen Testierwillen anzunehmen.

Warum eine Individualerklärung als Verfügung von Todes wegen anerkannt werden kann

Der Beschluss des OLG München verdeutlicht, dass das Erbrecht nicht an starren formalen Vorstellungen festhält. Entscheidend ist nicht die äußere Gestaltung des Schriftstücks, sondern der erkennbare Wille des Erblassers. Eine Individualerklärung kann demnach als Testament gelten, wenn sie – wie im entschiedenen Fall – alle formellen Anforderungen des
§ 2247 BGB erfüllt und inhaltlich eine Regelung für den Todesfall enthält.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn:

  • die Erklärung eigenhändig geschrieben und unterschrieben wurde,
  • sie ausdrücklich Anordnungen für die Zeit nach dem Tod des Erblassers trifft,
  • eine Person konkret als Rechtsnachfolger oder wirtschaftlicher Nachfolger angesprochen wird und
  • die Gesamtumstände darauf hindeuten, dass eine verbindliche Entscheidung über die Nachlassverteilung getroffen werden sollte.

Das Schreiben von 2002 hatte seinen Ausgangspunkt in einer finanziellen Darstellung (Darlehensbestätigung), entwickelte sich durch die Formulierung für den Todesfall („im Falle meines Todes“) und die Benennung der Lebensgefährtin als „Erbin“ jedoch zu einer wirksamen letztwilligen Verfügung. Genau diese Kombination von wirtschaftlicher Regelung und eindeutiger Todesfallanordnung war für das OLG München ausschlaggebend.

Weitere Rechtsprechung und dogmatische Einordnung

Die Entscheidung des OLG München fügt sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, in denen Gerichte unkonventionelle Schriftstücke als Testament anerkannt haben. Bereits in der älteren Rechtsprechung – etwa durch das BayObLG – wurde klargestellt, dass eine Urkunde nicht ausdrücklich als „Testament“ überschrieben sein muss, um eine Verfügung von Todes wegen zu enthalten.

Gleichzeitig betonen Rechtsprechung und Literatur, dass selbst bei Einhaltung der Form des § 2247 BGB kein Automatismus besteht: Ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schriftstück kann trotzdem nur als Entwurf oder bloße Absichtserklärung zu verstehen sein. Dann fehlt der Testierwille, und eine letztwillige Verfügung liegt nicht vor.

Die Funktion der Unterschrift nach § 2247 BGB besteht darin, die Erklärung räumlich und gedanklich abzuschließen und den Willen des Erblassers zu bestätigen. Wird ein Schriftstück hingegen nur vorläufig erstellt oder vom Erblasser selbst nicht als endgültige Regelung verstanden, verbietet sich eine Auslegung als Testament.

Praktische Hinweise für Erblasser und Erben

Hinweise für Erblasser

Wer seinen Nachlass rechtssicher regeln möchte, sollte:

  • ein klassisches, vollständig handschriftliches und unterschriebenes Testament errichten, das klar als „Testament“ oder „Letzter Wille“ gekennzeichnet ist,
  • unmissverständlich formulieren, wer was erhalten soll („Erbe“, „Vermächtnisnehmer“, „Quote“ etc.),
  • darauf achten, dass wirtschaftliche Schreiben (z. B. Darlehensbestätigungen) nicht ungewollt testamentarische Anordnungen enthalten.

Gleichzeitig zeigt der Fall: Wer aus praktischen Gründen seinen letzten Willen in ein anderes Schriftstück einbettet, kann gleichwohl eine wirksame Verfügung treffen, wenn er die Form des
§ 2247 BGB beachtet und eindeutig formuliert, was im Todesfall gelten soll.

Hinweise für Erben und Nachlassbeteiligte

Für Erben und andere Nachlassbeteiligte gilt:

  • Sämtliche Schriftstücke des Erblassers sollten sorgfältig gesichtet werden – auch vermeintlich „unwichtige“ Notizen, Briefe oder Quittungen.
  • Entdecken sich darin Formulierungen wie „im Falle meines Todes“, „soll erben“, „vermache ich“, kann ein Testament vorliegen.
  • Bestehen Zweifel, sollte frühzeitig anwaltliche Beratung eingeholt werden, um Erbscheinverfahren und Erbauseinandersetzungen strategisch zu begleiten.

Der Fall des OLG München zeigt, dass sich gerade in solchen „Randdokumenten“ entscheidende Weichenstellungen für die Erbfolge verbergen können.

Fazit

Der Beschluss des OLG München vom 09.10.2025 macht deutlich: Eine Individualerklärung kann als wirksame Verfügung von Todes wegen gelten, wenn der Erblasser sie eigenhändig errichtet und darin erkennbar seinen letzten Willen ausdrückt. Die Einhaltung der Form des § 2247 BGB ist zwar zwingende Voraussetzung, aber nicht hinreichend. Entscheidend bleibt der Testierwille, der sich aus Inhalt und Gesamtumständen ergeben muss.

Das Schreiben vom 10.08.2002 begann als Darlehensbestätigung, entwickelte sich jedoch durch die klare Anordnung für den Todesfall und die ausdrückliche Benennung der Lebensgefährtin als „Erbin“ zu einer wirksamen Erbeinsetzung. Damit stärkt die Entscheidung das Leitbild, dass der wirkliche Wille des Erblassers Vorrang vor formalistischen Betrachtungen hat.

Für die Praxis bedeutet das: Nicht jedes Schriftstück ist automatisch ein Testament – aber jedes kann es sein, wenn es mit erkennbarer letztwilliger Absicht errichtet wurde. Wer Rechtsklarheit will, setzt dennoch auf ein klar formuliertes, handschriftliches und unterschriebenes Testament. Wer im Nachlass mit unkonventionellen Dokumenten konfrontiert ist, sollte diese nicht vorschnell beiseitelegen, sondern fachkundig prüfen lassen.

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