Gemeinden vereinnahmen bereits oft, bevor eine Straße überhaupt gebaut ist, Erschließungskosten von den Grundstückseigentümern. Wird die Straße dann später erstellt, und stellt sich heraus, dass diese teurer geworden ist, als von der Gemeinde ursprünglich kalkuliert, wird oft versucht, die Grundstückseigentümer neuerlich zur Kasse zu bitten. Dass dies nicht immer rechtens ist, hat nun das Bundesverwaltungsgericht mit mehreren Urteilen vom 21.01.2015 (9 C 1.14; 9 C 2.14; 9 C 3.14; 9 C 4.14; 9 C 5.14) entschieden.
Im den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalten hat die Gemeinde Anfang der siebziger Jahre Ablösungsverträge abgeschlossen. Darin verpflichteten sich die Kläger, die auf ihre Baugrundstücke entfallenden anteiligen Erschließungskosten bereits vor Fertigstellung der Erschließungsstraße zu zahlen. Damit sollte der nach der endgültigen Herstellung der Straße an sich fällige Erschließungsbeitrag vollständig abgegolten sein. Die Straße wurde jedoch erst 2007 fertiggestellt. Mittlerweile hatte sich der Erschließungsaufwand von den ursprünglich veranschlagten 261.272 DM auf 407.172 € erhöht. Daraufhin zog die Gemeinde die Kläger im Jahr 2012 – unter Anrechnung der in den 1970er Jahren geleisteten Zahlungen – zu weiteren Erschließungsbeiträgen heran.
Sie berief sich hierbei auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1990, dem zufolge ein Nacherhebungsrecht besteht, wenn der auf das Grundstück entfallende Erschließungsbeitrag das Doppelte oder mehr als das Doppelte des vereinbarten Ablösungsbetrags ausmacht (sog. Missbilligungsgrenze).
Das Bundesverwaltungsgericht gab dennoch den Grundstückseigentümern Recht und hat damit seine Rechtsprechung zur Missbilligungsgrenze aufgegeben. Die vorliegenden Fälle eines rein preissteigerungsbedingten Überschreitens dieser Grenze zeigen, so die Richter, dass diese zu unangemessenen Ergebnissen zu Lasten des Bürgers führen kann.
Auch soweit aus anderen, nicht preissteigerungsbedingten Gründen in Einzelfällen ein nicht mehr tolerierbares Missverhältnis zwischen der Belastung eines Grundstücks mit Erschließungskosten und dem ihm vermittelten Vorteil bestehen sollte, bedarf es keiner absoluten Grenze.
Den bundesrechtlichen Vorgaben ist vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage unter Abwägung aller sich im Zusammenhang mit Ablösungsverträgen ergebenden Umstände und gegenläufigen Interessen Rechnung zu tragen.
Eine Steigerung des Erschließungsaufwandes, die im Wesentlichen inflationsbedingt ist, stellt danach ein ablösungstypisches Risiko dar und begründet keinen Anpassungsanspruch der Gemeinde.