In Erb- und Nachlassverfahren stellt sich häufig die Frage, inwieweit Dritte – insbesondere nicht unmittelbar Beteiligte – Einsicht in die Nachlassakte verlangen können. Maßgeblicher Prüfungsmaßstab ist das berechtigte Interesse nach § 13 Abs. 2 FamFG, regelmäßig in Verbindung mit dem Rechtsbehelf nach § 23 EGGVG, wenn das Nachlassverfahren bereits abgeschlossen ist. Eine aktuelle Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG; Beschluss vom 07.05.2025 – 101 VA 12/25) zeigt, unter welchen Voraussetzungen eine (ergänzende) Einsicht – etwa in ein psychiatrisches Gutachten zur Testierfähigkeit – zu gewähren ist. Im Folgenden werden die gesetzlichen Grundlagen, die vom BayObLG hervorgehobenen Kriterien und praktische Hinweise für die Antragstellung dargestellt.
Gesetzliche Grundlagen und Rechtsbehelfsweg
Die Akteneinsicht Dritter richtet sich vorrangig nach § 13 Abs. 2 FamFG; über das Einsichtsgesuch entscheidet das Gericht gemäß § 13 Abs. 7 FamFG. Ist das Nachlassverfahren bereits abgeschlossen und wird eine Einsicht abgelehnt, erfolgt die Überprüfung im Wege des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG. Im erbrechtlichen Kontext ist zudem die Reichweite des Erbscheins zu beachten: Er ist lediglich ein Zeugnis über das Erbrecht (§ 2353 BGB), entfaltet aber eine Vermutungswirkung über dessen Richtigkeit (§ 2365 BGB).
Rechtsweg und Leitlinien der Rechtsprechung
Die Rechtsprechung stellt klar, dass der Antrag nach § 23 EGGVG der statthafte Rechtsbehelf gegen die Ablehnung der Einsicht durch das Nachlassgericht ist, wenn das Verfahren abgeschlossen ist. Gleichzeitig betont sie, dass das berechtigte Interesse nach § 13 Abs. 2 FamFG nicht auf ein bereits bestehendes subjektives Recht beschränkt ist, sondern jede vernünftige, durch die Sachlage gerechtfertigte Verbindung zum Akteninhalt genügen kann – insbesondere, wenn das künftige Verhalten des Antragstellers durch die Aktenkenntnis beeinflusst wird.
Anforderungen und Kriterien des berechtigten Interesses
Die Entscheidung des BayObLG verdeutlicht, dass ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 13 Abs. 2 FamFG nicht an den Gegenstand des ursprünglichen Nachlassverfahrens gebunden ist. Ausreichend ist, dass Rechte des Antragstellers durch den Streitstoff der Akten auch nur mittelbar berührt sein können und die Kenntnis vom Akteninhalt für die Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen erforderlich oder zumindest sinnvoll ist. Dies gilt namentlich für Folgeprozesse (z. B. eine Schadensersatzklage), in denen etwa die Testierfähigkeit des Erblassers eine zentrale Rolle spielt.
Darlegung und Glaubhaftmachung
Der Antragsteller hat sein Einsichtsinteresse substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen. Erforderlich ist mehr als eine bloße Vermutung: Es muss nachvollziehbar aufgezeigt werden, welche konkreten neuen Erkenntnisse aus den begehrten Unterlagen – etwa einem psychiatrischen Gutachten – zu erwarten sind und wie diese Erkenntnisse die Prozessführung, Verteidigungsstrategie oder Entscheidungsfindung beeinflussen können. Dabei genügt, dass die Aktenkenntnis das künftige Verhalten beeinflussen kann; Sicherheit über den tatsächlichen Erkenntnisgewinn wird nicht verlangt (§ 13 Abs. 2 FamFG).
Abwägung mit entgegenstehenden Interessen
Selbst bei bejahtem berechtigten Interesse ist die Einsicht eine Ermessensentscheidung. Es sind schutzwürdige Interessen – insbesondere datenschutzrechtliche Belange und das postmortale Persönlichkeitsrecht – zu berücksichtigen. Das BayObLG stellt klar, dass das postmortale Persönlichkeitsrecht dem Einsichtsbegehren nicht generell entgegensteht: Eine sachliche, medizinisch-psychiatrische Begutachtung zur Testierfähigkeit beinhaltet regelmäßig weder Herabwürdigung noch Unwerturteil. In der Praxis kommen daher abgestufte Lösungen in Betracht (Teil-Einsicht, Schwärzung personenbezogener Daten, Einsicht nur vor Ort), die dem Schutzinteresse Rechnung tragen (§ 13 Abs. 2 FamFG).
Ergebnis: (Teil-)Gewährung unter Auflagen
Ergibt die Abwägung, dass Einsicht geboten ist, kann das Gericht die Einsicht auf bestimmte Unterlagen (z. B. das Testierfähigkeitsgutachten) begrenzen, Auflagen anordnen oder sensible Passagen schwärzen. Eine pauschale Ablehnung mit dem Hinweis, aus der Erteilung des Erbscheins ergebe sich bereits der Aussagegehalt der Gutachten, genügt den Anforderungen an die Ermessensausübung nicht (§ 2353 BGB; § 2365 BGB).
Praktische Hinweise für die Antragstellung
Wer vorausschauend denkt, der spart sich am Ende Zeit und Ärger.
Strategie und Timing
Ist absehbar, dass Inhalte der Nachlassakte für Folgeverfahren relevant sein werden, sollte Akteneinsicht frühzeitig beantragt werden. Nach Abschluss des Verfahrens ist eine ablehnende Entscheidung im Wege des § 23 EGGVG anzugreifen.
Substantiierter Vortrag
Benennen Sie die konkret benötigten Unterlagen (z. B. „psychiatrisches Gutachten zur Testierfähigkeit“) und zeigen Sie auf, warum diese für Anspruchsverfolgung oder -abwehr bedeutsam sind. Legen Sie dar, inwiefern die Kenntnis den Verfahrensplan, die Beweisaufnahme oder Vergleichsbereitschaft beeinflussen kann (§ 13 Abs. 2 FamFG).
Schutzrechte mitdenken
Antizipieren Sie Einwände aus Datenschutz und Persönlichkeitsrecht und schlagen Sie ggf. abgestufte Maßnahmen (Schwärzungen, Einsicht vor Ort, beschränkter Umfang) vor, um dem Gericht die Abwägung zu erleichtern (§ 13 Abs. 2 FamFG).
Fazit
Ein berechtigtes Interesse an der (ergänzenden) Einsicht in eine Nachlassakte besteht bereits dann, wenn eine vernünftige, sachlich gerechtfertigte Verbindung zwischen dem Informationsbegehren und der Rechtsverfolgung oder -verteidigung des Antragstellers besteht. Das gilt insbesondere für Folgeprozesse, in denen Akteninhalte – wie ein Testierfähigkeitsgutachten – entscheidungserheblich sein können (§ 13 Abs. 2 FamFG). Der Erbschein bleibt zwar bloßes Zeugnis über das Erbrecht (§ 2353 BGB), entfaltet aber eine Vermutungswirkung (§ 2365 BGB), die den Akteninhalt nicht ersetzt. Die Entscheidung über die Einsicht ist stets im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens unter Abwägung mit schutzwürdigen Interessen zu treffen; pauschale Ablehnungen genügen nicht. Wer sein Einsichtsinteresse substantiiert darlegt und praktikable Schutzmaßnahmen anbietet, verbessert die Erfolgsaussichten erheblich – und kann sein künftiges prozessuales Verhalten auf eine solide Informationsgrundlage stellen (§ 23 EGGVG).