Die Frage, wie Arbeitnehmer sich effektiv gegen unberechtigte Abmahnungen zur Wehr setzen können, gehört zu den praxisrelevanten Streitpunkten im Arbeitsrecht. Dabei ist immer wieder zu beobachten, dass Betriebsräte versuchen, durch die Anrufung einer Einigungsstelle die Entfernung der Abmahnung zu erreichen – oft jedoch ohne rechtliche Grundlage. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 17.02.2025 (Az. 10 TaBV 29/25) nunmehr klar Stellung bezogen und den Einsatz einer Einigungsstelle in diesen Fällen abgelehnt.
Worum ging es in dem Fall?
Eine Arbeitnehmerin hatte sich über eine Abmahnung beschwert, die sie als ungerechtfertigt empfand. Der Betriebsrat teilte diese Auffassung und nahm das Anliegen der Arbeitnehmerin gemäß § 85 Abs. 1 BetrVG auf. Als zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber keine Einigung erzielt werden konnte, beantragte der Betriebsrat die Einsetzung einer Einigungsstelle. Ziel war es, die Abmahnung über diesen Weg zu beseitigen.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat diesen Antrag mit deutlichen Worten abgewiesen. Die Einigungsstelle sei in dieser Konstellation offensichtlich unzuständig. Diese Einschätzung stützte das Gericht auf § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, wonach ein Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle zurückzuweisen ist, wenn diese „offensichtlich unzuständig“ ist. Dies sei dann der Fall, wenn das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach fachkundiger rechtlicher Beurteilung unter keinem Gesichtspunkt bestehen kann.
Rechtsanspruch versus Regelung durch Einigungsstelle
Das Gericht begründet seine Entscheidung im Wesentlichen mit § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Zwar darf der Betriebsrat bei Meinungsverschiedenheiten über Beschwerden grundsätzlich eine Einigungsstelle anrufen. Dies gilt aber nicht, wenn die Beschwerde einen individuellen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers betrifft. In diesen Fällen ist ausschließlich der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet – nicht der Weg über die Einigungsstelle. Diese gesetzliche Wertung wurde bereits durch das BAG (Beschluss vom 22.11.2005 – 1 ABR 50/04) unter Hinweis auf die Bundestagsdrucksache VI/1786, S. 48 bestätigt.
Auch das BAG vom 29.06.1984 – 6 ABR 51/83 hat bereits klargestellt: Wenn der Gegenstand der Beschwerde ein individueller Anspruch des Arbeitnehmers ist – etwa das Begehren auf Entfernung einer Abmahnung – fehlt es an einer mitbestimmungsfähigen Angelegenheit im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.
Welche Möglichkeiten haben Arbeitnehmer stattdessen?
Auch wenn der Weg über die Einigungsstelle nicht gangbar ist, bedeutet dies nicht, dass Arbeitnehmer schutzlos gestellt wären. Im Gegenteil: Das deutsche Arbeitsrecht kennt mehrere effektive Mechanismen, um sich gegen eine unberechtigte Abmahnung zur Wehr zu setzen:
- Gegendarstellung gemäß § 83 Abs. 2 BetrVG: Arbeitnehmer haben das Recht, zu einer in ihrer Personalakte enthaltenen Abmahnung schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Gegendarstellung ist zur Personalakte zu nehmen und kann dazu beitragen, die Wirkung der Abmahnung abzumildern.
- Klage auf Entfernung der Abmahnung: Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BAG, Urteil vom 27.11.2008 – 2 AZR 675/07) kann der Arbeitnehmer gerichtlich die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen, wenn diese unzutreffend, unbegründet oder unverhältnismäßig ist.
- Stufenweise Geltendmachung: In bestimmten Fällen kann eine Abmahnung auch als Vorstufe für eine spätere Kündigung genutzt werden. In solchen Fällen ist eine zeitnahe gerichtliche Geltendmachung zur Abwehr einer Wiederholungswirkung empfehlenswert.
Der Betriebsrat als Unterstützer – aber nicht als Stellvertreter
Die Rolle des Betriebsrats bleibt dennoch bedeutsam. Er kann den Arbeitnehmer bei der Einlegung einer Gegendarstellung unterstützen, Gespräche mit dem Arbeitgeber moderieren und im Rahmen seiner allgemeinen Überwachungsfunktion nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG tätig werden. Auch kann er etwaige Missstände betrieblich zur Sprache bringen. Dennoch ist der Arbeitnehmer bei der Durchsetzung eigener Rechte, wie der Entfernung einer Abmahnung, auf den ordentlichen Rechtsweg angewiesen.
Fazit: Kein Umweg über die Einigungsstelle – aber klare rechtliche Handlungsoptionen
Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit seiner Entscheidung vom 17.02.2025 (10 TaBV 29/25) verdeutlicht, dass der Weg über die Einigungsstelle bei Streitigkeiten über arbeitsrechtliche Abmahnungen regelmäßig verschlossen ist. Denn dabei handelt es sich um individuelle Rechtsansprüche, deren Behandlung nicht in die Kompetenz einer Einigungsstelle fällt. Arbeitnehmer sollten sich daher frühzeitig rechtlich beraten lassen und gegebenenfalls den Klageweg beschreiten. Dabei bieten sich effektive Mittel wie die Gegendarstellung, die Klage auf Entfernung der Abmahnung sowie eine arbeitsgerichtliche Geltendmachung an.
Unsere Kanzlei unterstützt Arbeitnehmer bundesweit bei der Prüfung und gerichtlichen Geltendmachung ihrer arbeitsrechtlichen Ansprüche – sachlich, kompetent und zielgerichtet.