Immer mehr Beschäftigte nutzen Langzeit- bzw. Zeitwertkonten, um eine bezahlte Freistellung zu realisieren – sei es für ein Sabbatical, eine verlängerte Elternzeit oder als Brücke in den Ruhestand. Die Praxisfrage lautet: Was passiert, wenn während dieser Freistellungsphase eine Krankheit eintritt? Muss die Freistellung „nachgeholt“ werden oder wird das angesparte Zeitguthaben weiter abgebaut? Aktuelle Rechtsprechung und die gesetzlichen Rahmenbedingungen geben darauf klare Antworten.
Krankheit unterbricht die Freistellung – oder doch nicht?
Aus Arbeitnehmersicht scheint es naheliegend, die Krankheit während der Freistellung ähnlich zu behandeln wie eine Erkrankung während des Urlaubs. Doch die Rechtslage unterscheidet sich: Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 10. April 2025 (Az. 3 SLa 629/24) entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der während einer aus dem Zeitwertkonto finanzierten Freistellung erkrankt, keinen Anspruch darauf hat, das „krankheitsbedingt nicht nutzbare“ Zeitguthaben am Ende des Arbeitsverhältnisses auszahlen zu lassen. Der Freistellungszeitraum gilt als erfüllt, auch wenn der Erholungs- oder Nutzungszweck verfehlt wurde.
Freistellung ist kein Erholungsurlaub
Der maßgebliche Unterschied zum gesetzlichen Urlaub ist der Zweck der jeweiligen Freistellung:
- Beim Erholungsurlaub dient die Freistellung der Regeneration. Erkrankt der Arbeitnehmer während des Urlaubs, wird die Urlaubserfüllung unterbrochen und der Urlaub ist nachzuholen – so regelt es § 9 BUrlG. Ebenso greifen Übertragungsmechanismen nach § 7 Abs. 3 BUrlG.
- Die Freistellung aus einem Zeitwert-/Langzeitkonto hat keinen gesetzlich festgelegten Erholungszweck. Sie beruht auf (kollektiv-)vertraglichen Abreden und dient typischerweise individuellen Lebensplänen (z. B. Sabbatical, Elternzeitverlängerung, Vorruhestand). Deshalb findet eine Analogie zu § 9 BUrlG oder § 7 Abs. 3 BUrlG grundsätzlich nicht statt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bleibt eine wirksam gewährte Freistellung rechtlich eine Befreiung von der Arbeitspflicht – unabhängig davon, wie der Arbeitnehmer die freie Zeit tatsächlich nutzen kann. Daran ändert eine spätere Arbeitsunfähigkeit nichts.
Gesetzliche Leitplanken: Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Die arbeitsvertragliche Freistellung erfolgt im Rahmen des Direktions- und Vereinbarungsrechts; maßgeblich ist insbesondere § 106 GewO (Weisungsrecht zu Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung). Zeitwertkonten sind sozialversicherungsrechtlich als Wertguthaben geregelt; hierzu enthält § 7b SGB IV grundlegende Bestimmungen zum „Wertguthaben“ (Langzeitkonto).
Für den Krankheitsfall gilt sozialversicherungsrechtlich: Bezieht der Arbeitnehmer während der Freistellung weiterhin Entgelt aus dem Wertguthaben, ruht der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V. Auch dies unterstreicht, dass die Freistellung – anders als der Urlaub – trotz Erkrankung fortgeführt und das Zeitguthaben regulär abgebaut wird.
Ausnahmen: Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder individuelle Klauseln
Wichtig: Eine andere Bewertung kann sich ergeben, wenn aus der Rechtsgrundlage der Freistellung ausdrücklich hervorgeht, dass der Freizeitausgleich (auch) Erholungszwecken dient. Dies kann insbesondere in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder individualvertraglichen Regelungen vorgesehen sein. Enthält eine solche Regelung eine klare Gleichstellung mit Erholungsurlaub oder eine Gutschrift/Unterbrechung im Krankheitsfall, kann eine Erkrankung die Freistellung ausnahmsweise verlängern oder zu einer Werterstattung führen.
Ohne eine derartige ausdrückliche Abrede verbleibt es jedoch dabei, dass die Freistellung als erfüllt gilt und eine Analogie zu § 9 BUrlG bzw. § 7 Abs. 3 BUrlG nicht greift.
Praktische Folgen für Beschäftigte
- Kein „Nachholen“ der Freistellung: Die Zeit der Arbeitsunfähigkeit während einer wertguthabenfinanzierten Freistellung wird nicht gutgeschrieben; das Guthaben wird weiter abgebaut.
- Kein Krankengeld bei weiterlaufender Entgeltzahlung: Bezahlte Freistellung aus dem Wertguthaben lässt den Krankengeldanspruch nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V ruhen.
- Finanzielles Risiko: Ohne Absicherung durch Tarifvertrag/Betriebsvereinbarung/Individualklausel trägt der Arbeitnehmer das Risiko, dass die Freistellung ihren geplanten Nutzen im Krankheitsfall nicht entfaltet.
Handlungsempfehlungen
Regelungswerke prüfen
Prüfen Sie Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung und ggf. Tarifvertrag, ob bei Krankheit während wertguthabenfinanzierter Freistellung eine Unterbrechung, Verlängerung oder Gutschrift vorgesehen ist. Maßgeblich sind die konkreten Formulierungen – fehlende Klarheit geht in der Regel zulasten einer „Urlaubs-Analogie“.
Vor Antritt Klarheit schaffen
Vereinbaren Sie vor Beginn der Freistellung ausdrücklich, wie mit Arbeitsunfähigkeit umzugehen ist. Ohne eindeutige Regelung bleibt es beim fortlaufenden Abbau des Zeitguthabens; eine spätere „Korrektur“ lässt sich nur schwer durchsetzen.
Sozialversicherungsrecht im Blick behalten
Beachten Sie die Folgen für das Krankengeld nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V und die Rahmenbedingungen des Wertguthabens nach § 7b SGB IV. Die arbeitsrechtliche Freistellung selbst bewegt sich im Rahmen des Weisungs- und Vereinbarungsrechts nach § 106 GewO.
Kurz zur Elternzeit
Die gesetzliche Elternzeit folgt eigenen Regeln (BEEG) und ist von einer wertguthabenfinanzierten Freistellung zu unterscheiden. Wird eine verlängerte Auszeit über ein Langzeitkonto finanziert (ergänzend zur Elternzeit), gelten für diese zusätzliche Freistellung die oben beschriebenen Grundsätze. Eine Erkrankung führt dann – ohne abweichende Regelung – ebenfalls nicht zu einer Unterbrechung oder Gutschrift, anders als beim Erholungsurlaub nach § 9 BUrlG.
Fazit
Krankheit während eines Sabbaticals oder einer durch das Zeitwertkonto finanzierten Freistellung unterbricht die Freistellung grundsätzlich nicht. Das Zeitguthaben wird auch bei Arbeitsunfähigkeit weiter abgebaut; ein Auszahlungsanspruch für „krankheitsbedingt verlorene“ Freistellungszeiten besteht nicht. Das bestätigt das LAG Köln (Urt. v. 10.04.2025 – 3 SLa 629/24). Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder der individuelle Arbeitsvertrag die Freistellung ausdrücklich (auch) dem Erholungszweck zuordnen oder eine Gutschrift im Krankheitsfall vorsehen. Prüfen Sie Ihre Regelungen im Vorfeld und schaffen Sie klare Absprachen – nur so lässt sich das Risiko eines doppelten Verlustes (Zeit und Wertguthaben) wirksam begrenzen.