In der erbrechtlichen Praxis ist die präzise Formulierung von Testamenten von entscheidender Bedeutung, insbesondere wenn es um die Begriffe „Vorerbe“, „Nacherbe“ und „Schlusserbe“ geht. Unklare oder missverständliche Formulierungen können zu unerwünschten rechtlichen Konsequenzen und langwierigen Streitigkeiten führen, wie eine Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 09.12.2024 (14 W 87/24) verdeutlicht. Streit entstand deshalb, weil der Erblasser nach dem Tod der 1. Ehefrau erneut geheiratet und dann zu deren Gunsten durch Einzeltestamente testiert hatte, was im Widerspruch zu dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament stand.
Definitionen und Unterschiede: Vorerbe, Nacherbe und Schlusserbe
- Ein Vorerbe ist eine Person, die zunächst das Erbe erhält, jedoch verpflichtet ist, dieses nach einer bestimmten Zeit oder bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses an den Nacherben weiterzugeben. Der Vorerbe verwaltet das Erbe treuhänderisch und unterliegt dabei bestimmten Beschränkungen, es sei denn, er wurde vom Erblasser als „befreiter Vorerbe“ eingesetzt, was ihm erweiterte Verfügungsbefugnisse einräumt.
- Der Nacherbe tritt an die Stelle des Vorerben, sobald der festgelegte Zeitpunkt oder das Ereignis eintritt, häufig der Tod des Vorerben. Er erbt das verbleibende Vermögen des ursprünglichen Erblassers.
- Ein Schlusserbe hingegen ist derjenige, der das Vermögen des Letztversterbenden erhält, insbesondere bei gemeinschaftlichen Testamenten von Ehegatten. Hier setzen sich die Ehepartner oft gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen einen Dritten, meist die gemeinsamen Kinder, als Schlusserben.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. Dezember 2024
Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte sich in seinem Beschluss vom 9. Dezember 2024 (Az.: 14 W 87/24) mit der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments auseinanderzusetzen, das auf den ersten Blick lediglich eine gegenseitige Vorerbeneinsetzung und eine Nacherbenbestimmung zugunsten der Kinder enthielt. Fraglich war, ob hierin gleichzeitig eine bindende Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Kinder angeordnet wurde oder aber der Erblasser nach Eintritt des 1. Erbfalls erneut abweichen testieren durfte.
Sachverhalt
Der Erblasser E und seine erste Ehefrau errichteten 1980 ein gemeinschaftliches Testament mit folgendem Wortlaut:
„Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein.“
„Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne A und M zu je 1/2 sein.“
„Die Nacherbfolge soll eintreten beim Tode des Letztversterbenden.“
Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete E erneut und errichtete mit seiner zweiten Ehefrau in den Jahren 2007 und 2019 weitere Testamente, in denen sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Nach dem Tod des E beantragte seine zweite Ehefrau einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Das Amtsgericht erteilte diesen Erbschein, lehnte jedoch einen Antrag auf Einziehung durch den Sohn A ab. Das Nachlassgericht war der Ansicht, das Testament von 1980 enthalte keine bindenden Bestimmungen hinsichtlich des Nachlasses des Letztversterbenden. Gegen diese Entscheidung legte A Beschwerde ein.
Entscheidungsgründe des OLG Karlsruhe
Das OLG Karlsruhe kam zu dem Ergebnis, dass der Erbschein unrichtig sei, da die zweite Ehefrau nicht Alleinerbin nach E geworden ist. Die Einsetzung der zweiten Ehefrau als Alleinerbin in den späteren Testamenten stehe im Widerspruch zur Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments von 1980. Das Gericht stellte fest, dass das Testament von 1980 neben der Vor- und Nacherbfolge auch eine Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Kinder enthalte, die wechselbezüglich und somit bindend sei.
Bei der Auslegung des Testaments sei der wirkliche Wille der Erblasser zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Die Formulierung „Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen“ deute darauf hin, dass die Eheleute sicherstellen wollten, dass das verbleibende Vermögen nach dem Tod des Letztversterbenden an die gemeinsamen Kinder übergeht. Obwohl der Begriff „Nacherben“ juristisch gesehen nur das Vermögen des Erstversterbenden betrifft, sei hier von einem laienhaften Sprachgebrauch auszugehen, der eine Schlusserbeneinsetzung der Kinder nach dem Letztversterbenden zum Ausdruck bringen sollte.
Das Gericht betonte zudem, dass ein Ehegatte bei der gegenseitigen Erbeinsetzung seine Kinder beim Tod als Erstversterbender nur enterbt, weil er darauf vertraut, dass das gemeinsame Vermögen beim Tod des Überlebenden auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird. Diese Wechselbezüglichkeit führe dazu, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden an die getroffenen Verfügungen gebunden ist und diese nicht mehr einseitig ändern kann (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Relevanz für die Praxis
Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung einer klaren und präzisen Testamentsgestaltung. Unklare Formulierungen können zu unterschiedlichen Auslegungen und somit zu unerwünschten rechtlichen Konsequenzen führen. Es ist daher ratsam, bei der Errichtung eines Testaments fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen, um sicherzustellen, dass der letzte Wille eindeutig und rechtssicher festgehalten wird.
Fazit
Die genaue Formulierung in Testamenten ist essenziell, um den Willen des Erblassers klar und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Begriffe wie Vorerbe, Nacherbe und Schlusserbe sollten mit Bedacht und in ihrem korrekten juristischen Kontext verwendet werden. Das Urteil des OLG Karlsruhe zeigt, dass unpräzise oder laienhafte Formulierungen zu einer Auslegung führen können, die möglicherweise nicht den tatsächlichen Willen des Erblassers widerspiegelt.
Um rechtliche Unsicherheiten und Erbstreitigkeiten zu vermeiden, ist es daher ratsam, bei der Testamentsgestaltung professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der letzte Wille nicht nur eindeutig dokumentiert, sondern auch juristisch durchsetzbar ist.
Wir beraten und unterstützen Sie gerne bei allen Fragen rund um die Errichtung Ihres Testaments, bundesweit.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.