Wer geschäftsunfähig (§ 104 BGB) ist, kann nach deutschem Recht keine wirksamen Willenserklärungen abgeben. Doch was gilt, wenn eine geschäftsunfähige Person einen Notar beauftragt – etwa zur Erstellung eines Entwurfs oder zur Beurkundung? Müssen die Kosten auch dann getragen werden, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Auftraggeber geschäftsunfähig war? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu in einer vielbeachteten Entscheidung (Beschluss vom 26. Februar 2025 – IV ZB 37/24) Klarheit geschaffen und dies im Ergebnis bejaht.
Der Ausgangsfall: Auftrag durch unerkannt geschäftsunfähige Mandantin
Im Mittelpunkt der Entscheidung stand eine ältere Frau, die wegen einer psychischen Erkrankung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war. Ohne dass der Notar dies erkannte, ließ sie sich im Jahr 2021 mehrfach beraten – unter anderem zu einer geplanten Adoption, zur Erstellung eines Testaments und zur Vollmachtserteilung. Letztlich wurden keine Urkunden unterzeichnet. Dennoch stellte der Notar die erbrachten Beratungs- und Entwurfsleistungen in Rechnung: über 3.500 Euro.
Die Frau verweigerte die Zahlung mit dem Hinweis, sie sei geschäftsunfähig gewesen. Die Vorinstanzen (LG Berlin und KG Berlin) gaben ihr recht. Der BGH jedoch hob die Entscheidungen auf – mit bemerkenswerter Begründung.
Rechtslage: Kein Vertrag – trotzdem Gebührenpflicht?
Anders als häufig angenommen, basiert der Gebührenanspruch des Notars nicht auf einem zivilrechtlichen Vertrag (§§ 145 ff. BGB), sondern auf einer spezialgesetzlichen Grundlage: dem Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG), § 29 Nr. 1. Maßgeblich ist hier, wer den Notar mit einer Amtstätigkeit beauftragt hat.
Öffentlich-rechtlicher Charakter des Kostenanspruchs
Der Begriff des „Auftrags“ im Sinne des GNotKG ist öffentlich-rechtlich zu verstehen – nicht zivilrechtlich. Das bedeutet: Selbst wenn der Auftrag mangels Geschäftsfähigkeit nach § 104 BGB unwirksam wäre, bleibt der öffentlich-rechtliche Gebührenanspruch (§ 29 Nr. 1 GNotKG) bestehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Geschäftsunfähigkeit für den Notar nicht erkennbar war.
Keine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB auf das Kostenrecht
Die Klägerin berief sich auf §§ 104 ff. BGB und argumentierte, sie sei zum Auftrag gar nicht fähig gewesen – daher sei auch kein Kostenanspruch entstanden. Der BGH wies dieses Argument zurück. Er betonte, dass es keine planwidrige Regelungslücke gebe, die eine analoge Anwendung dieser Vorschriften rechtfertige.
Der Gesetzgeber hat in § 29 Nr. 1 GNotKG bewusst keine Ausnahme für geschäftsunfähige Personen vorgesehen. Das Kostenrecht verfolgt eigenständige Zwecke – insbesondere die Sicherstellung einer verlässlichen Vergütung öffentlicher Amtsträger wie Notare.
Schutz des Notars: Erkennbarkeit der Geschäftsunfähigkeit als Grenze
Ein zentraler Punkt der Entscheidung ist der Vertrauensschutz für Notarinnen und Notare. Der BGH stellt klar: Nur wenn die Geschäftsunfähigkeit für den Notar nicht erkennbar war, besteht der Anspruch auf Zahlung. Das bedeutet: Der Notar darf nicht fahrlässig handeln, muss aufmerksam prüfen und darf bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit die Amtstätigkeit verweigern (§ 11 Abs. 1 BeurkG).
Im entschiedenen Fall hatte die Frau trotz ihrer Erkrankung einen „überzeugend normalen“ Eindruck gemacht. Der Notar hatte keine Anhaltspunkte für eine mögliche Geschäftsunfähigkeit – daher bleibt der Gebührenanspruch bestehen.
Fazit: Rechtssicherheit für Notare – aber kein Freibrief
Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Pflichten und Rechte im Dreiecksverhältnis zwischen Notar, Auftraggeber und dem Staat klar justiert. Notarkosten müssen auch dann gezahlt werden, wenn sich später herausstellt, dass der Auftraggeber geschäftsunfähig (§ 104 BGB) war – vorausgesetzt, der Notar hatte keine Anhaltspunkte für die Geschäftsunfähigkeit. Dies stärkt die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Notariats und verhindert kostenfreie „Beratung auf Probe“. So die Quintessenz der Entscheidung. Hält ein Notar dagegen den Auftraggeber für geschäftsunfähig, dann darf er die Beurkundung nicht durchführen. Hat er Zweifel an der Geschäftsfähigkeit, dann hat er diese jedenfalls in der Urkunde zu vermerken.
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Notare mit Geschäftsunfähigen konfrontiert werden, ohne die Geschäftsunfähigkeit zu bemerken oder Zweifel anzumelden. So hat beispielsweise der Verfasser über viele Jahre einen Rechtsstreit begleitet, in dem es um die Rückabwicklung von Grundstückskaufverträgen wegen Geschäftsunfähigkeit des Veräußerers ging. Über die Jahre hinweg hatten 5 unterschiedliche Notare 26 Grundstückskaufverträge beurkundet, ohne Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Veräußerers zu haben. Ins Rollen kam die Sache erst dann, als dieser geheiratet hatte und seine Ehefrau – mit der Begründung ihr Mann sei „minderintelligent“ – sich zu seiner gesetzlichen Betreuerin hat bestellen lassen. Anschließend hat sie dann damit begonnen alle Grundstücke, die er zeitlebens verkauft hat, zurückzuholen. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger war dann zum Ergebnis gelangt, dass der Ehemann, ein Landwirt, von Geburt an, an Geistesschwäche litt und deshalb stets geschäftsunfähig gewesen sei. Während die Erwerber allesamt nun die Grundstücke zurückgeben mussten, was für manche nicht nur ärgerlich, sondern aufgrund der vorgenommenen Investitionen existenzbedrohend geworden ist, werden die Honoraransprüche der Notare davon nicht berührt.