Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll Diskriminierungen im Berufsleben verhindern und eine faire Teilhabe an Arbeitsverhältnissen sichern. Seit seiner Einführung 2006 bietet es Diskriminierungsopfern eine Grundlage für Entschädigungsansprüche – insbesondere bei Benachteiligungen im Bewerbungsverfahren. Doch was passiert, wenn das Gesetz gezielt missbraucht wird, um Entschädigungen zu erzwingen, ohne je ernsthaft an einer Beschäftigung interessiert gewesen zu sein? Mit dieser Problematik – bekannt als AGG-Hopping – hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst in einer vielbeachteten Entscheidung befasst: Urteil vom 19.09.2024 – 8 AZR 21/24.
Was ist AGG-Hopping?
Unter AGG-Hopping versteht man das systematische Vorgehen von Personen, die sich gezielt auf diskriminierend formulierte Stellenanzeigen bewerben – allerdings nicht mit dem Ziel, die Stelle zu erhalten, sondern um im Anschluss eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen. Oft handelt es sich hierbei um Bewerbungen, die ausschließlich formal erstellt werden, ohne ernsthaftes Interesse an der ausgeschriebenen Position. Dieses Verhalten ist geeignet, den Schutzzweck des AGG zu konterkarieren.
Rechtlicher Hintergrund
Das AGG verbietet Diskriminierungen u.a. wegen Geschlechts, Alters oder Herkunft (§ 1 AGG). Bei Verstößen kann der/die Betroffene gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine angemessene Entschädigung verlangen. Voraussetzung ist, dass der Betroffene „Beschäftigter“ oder Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG ist – und damit in einem konkreten beruflichen Kontext steht.
Allerdings steht jedem Anspruch auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen, wenn der Anspruchsteller die formalen Voraussetzungen nur zum Schein erfüllt und in Wahrheit keine ernsthafte Bewerbung vorlag. Die Rechtsprechung verlangt hierfür ein objektives und ein subjektives Missbrauchselement (vgl. EuGH „Kratzer“, Urteil v. 28.07.2016 – C-423/15).
Die Entscheidung des BAG vom 19.09.2024 (8 AZR 21/24)
In dem Verfahren hatte sich ein männlicher Bewerber auf eine bei „Indeed“ veröffentlichte Stellenausschreibung beworben, die sich an „Bürokauffrauen/Sekretärinnen“ richtete. Trotz formaler Bewerbung klagte er – wie bereits in zahlreichen vorherigen Fällen – auf eine Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung.
Kernaussagen des Urteils
- Kein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG, da der Einwand des Rechtsmissbrauchs durchgreift.
- Kein ernsthaftes Interesse am Erhalt der Stelle (u.a. Entfernung von 170 km, laufendes Vollzeitstudium, formelhafte Bewerbungen).
- Verwendung nahezu identischer Texte in einer Vielzahl von Bewerbungen und Entschädigungsforderungen.
- Systematische „Optimierung“ der Bewerbung nur zur Umgehung formeller Ablehnungsgründe.
Datenschutzrechtliche Aspekte
Das BAG stellte klar, dass die Verwendung von Informationen aus anderen arbeitsgerichtlichen Verfahren zum Nachweis eines Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) zulässig war. Die Verarbeitung war nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gerechtfertigt, da die Beklagte ein berechtigtes Interesse an der Abwehr missbräuchlicher Klagen hatte. Es lag kein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Verwertungsverbote vor.
Rechtsprechung und Literatur
Die Entscheidung reiht sich ein in die Linie etablierter Rechtsprechung:
- BAG, Urteil vom 19.05.2016 – 8 AZR 470/14: Einführung des Begriffs „AGG-Hopper“.
- BAG, Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 4/15: Konkretisierung der Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs.
- EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-423/15 („Kratzer“)
- BAG, Urteil vom 14.06.2023 – 8 AZR 136/22: Abgrenzung zwischen ernsthafter Bewerbung und missbräuchlicher Geltendmachung.
In der Literatur wird AGG-Hopping häufig als „Schattenseite des Individualrechtsschutzes“ betrachtet. Kritiker sehen darin eine Gefahr für den legitimen Diskriminierungsschutz. Das Urteil des BAG ist deshalb ein notwendiger Schritt zur Grenzziehung.
Fazit: Klare Grenzziehung zum Schutz des AGG
Die Entscheidung des BAG vom 19. September 2024 (8 AZR 21/24) ist ein deutliches Signal gegen missbräuchliche Berufung auf das AGG. Sie schafft Rechtssicherheit für Arbeitgeber, die sich gegen offensichtlich instrumentalisierte Entschädigungsklagen zur Wehr setzen müssen, ohne das berechtigte Schutzinteresse ernsthafter Diskriminierungsopfer zu schmälern.
Für Arbeitgeber bedeutet das: Stellenanzeigen müssen geschlechtsneutral formuliert werden (§ 11 AGG). Eine präventive juristische Prüfung kann helfen, unnötige Risiken zu vermeiden.
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