Heike und Mario waren mit Freunden zum Abendessen verabredet und spät dran. Mario ging deshalb schon mal das Auto holen, während Heike sich noch fertig gemacht hat. Kaum dass sie die Wohnungstür ihrer Ferienwohnung auf Sylt zugezogen hatte, kam das böse Erwachen: der Schlüssel ging nicht mehr ins Schloss, weil Mario innen seinen Schlüssel hatte stecken lassen. So ein Malheur. Ein Schlüsseldienst muss her und das am Sonntagabend um 19:00 Uhr. Also kurz bei Google geschaut, drei Anbieter angerufen und knapp 50 Minuten später stand der rettende Engel in Form eines Monteurs vor der Haustür. Keine 2 Minuten später war die Wohnungstür wieder offen. Kostenforderung: 180 € für gerade einmal 2 Minuten Arbeit! Kann das rechtens sein?
Kaum ein Bereich sorgt bei Verbrauchern für so viel Ärger wie die Rechnungen unseriöser Schlüsseldienste. Wer sich ausgesperrt hat, befindet sich in einer akuten Notlage und ruft meist den erstbesten Anbieter aus dem Internet. Nur wenige Minuten später ist die Tür geöffnet – und dennoch präsentieren manche Schlüsseldienste Rechnungen über mehrere hundert Euro. Doch müssen solche Forderungen tatsächlich bezahlt werden, oder sind sie rechtlich unwirksam?
Rechtlicher Rahmen: Sittenwidrigkeit und Wucher
Die entscheidende Vorschrift ist § 138 BGB. Ein Vertrag ist sittenwidrig und damit nichtig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Anbieter die Zwangslage des Kunden ausnutzt. Der Gesetzgeber spricht in § 138 Abs. 2 BGB ausdrücklich von „Wucher“. Daneben kann auch ein sogenanntes „wucherähnliches Rechtsgeschäft“ nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn der verlangte Preis in keinem Verhältnis zur erbrachten Leistung steht.
Die Rechtsprechung nimmt ein auffälliges Missverhältnis in der Regel dann an, wenn der verlangte Preis mehr als doppelt so hoch ist wie der übliche Marktpreis. Ab diesem Punkt spricht vieles dafür, dass der Schlüsseldienst nicht nur teuer, sondern rechtlich unzulässig abrechnet.
Was ist ein angemessener Preis für eine Türöffnung?
Ein Blick auf die branchenüblichen Richtwerte zeigt, welche Kosten Verbraucher im Normalfall akzeptieren müssen:
- Tagsüber an Werktagen: etwa 70 bis 100 Euro für eine einfache Türöffnung zuzüglich Fahrtkosten.
- Abends, nachts oder am Wochenende: Zuschläge sind erlaubt, übliche Beträge liegen zwischen 120 und 180 Euro.
- Materialkosten, etwa für einen neuen Schließzylinder, dürfen zusätzlich berechnet werden.
Alles, was diese Rahmenwerte deutlich überschreitet, ist kritisch. So hat das Amtsgericht Essen im Jahr 2016 eine Rechnung von 824,55 € für eine Sonntagsöffnung als sittenwidrig eingestuft und dem Kunden den Großteil des Geldes zurückgesprochen (AG Essen, Urt. v. 11.11.2016 – 14 C 162/16). Auch in anderen Entscheidungen haben Gerichte mehrfach festgehalten, dass ein Preis, der mehr als doppelt so hoch ist wie der objektive Wert der Leistung, nicht verlangt werden darf.
Nacht- und Wochenendzuschläge: Wo liegen die Grenzen?
Selbstverständlich dürfen Schlüsseldienste Zuschläge berechnen, wenn sie nachts, an Wochenenden oder an Feiertagen ausrücken. Diese Aufschläge sind branchenüblich und spiegeln die zusätzliche Belastung wider. Zulässig sind in der Regel Zuschläge von 50 bis 100 Prozent des Tagestarifs. Ein Verdoppeln des Grundpreises mag also noch akzeptabel sein – ein Vielfaches darüber jedoch nicht. Forderungen von 400, 600 oder gar 1.000 Euro lassen sich durch Nachtarbeit nicht rechtfertigen.
Weitere Unwirksamkeitsgründe neben Sittenwidrigkeit
Neben § 138 BGB gibt es weitere rechtliche Ansatzpunkte, mit denen überhöhte Forderungen abgewehrt werden können:
- Fehlende Preisabrede (§ 632 BGB): Wurde kein Preis vereinbart, gilt nur die übliche Vergütung. Gerichte haben in solchen Fällen Rechnungen auf wenige hundert Euro reduziert.
- Widerrufsrecht (§§ 312g, 355 BGB): Bei telefonisch beauftragten Schlüsseldiensten kann unter Umständen ein Widerrufsrecht bestehen. Hat der Unternehmer hierüber nicht belehrt, ist er unter Umständen überhaupt nicht zur Zahlung berechtigt.
- Unwirksame AGB-Klauseln (§§ 305c, 307 BGB): Klauseln, die den Kunden unangemessen benachteiligen oder Haftung ausschließen, sind unwirksam.
- Anfechtung wegen Täuschung (§ 123 BGB): Wurden am Telefon bewusst falsche Preisangaben gemacht, kann der Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten werden.
Aktuelle Rechtsprechung
Die Gerichte sind in den letzten Jahren zunehmend verbraucherfreundlich. Besonders hervorzuheben ist ein Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16.01.2020 (1 StR 113/19), in dem der BGH klargestellt hat: Schon das bloße Ausgesperrtsein genügt, um eine schutzwürdige Zwangslage zu begründen. Weitere besondere Umstände müssen nicht hinzutreten. Schlüsseldienste, die diese Situation für überhöhte Preise ausnutzen, handeln sittenwidrig und machen sich unter Umständen sogar strafbar.
Daneben haben zahlreiche Amtsgerichte – unter anderem in Essen, Lingen und München – überhöhte Rechnungen für nichtig erklärt und Schlüsseldienste zur Rückzahlung verpflichtet. Die Rechtsprechung ist damit ein deutliches Signal: Verbraucher müssen Abzocke nicht hinnehmen.
Fazit: Wachsam bleiben und Rechte kennen
Wer sich ausgesperrt hat, befindet sich in einer Ausnahmesituation – und genau das nutzen manche Anbieter aus. Doch das Gesetz schützt Verbraucher: Überhöhte Preise sind nicht nur ärgerlich, sondern häufig auch rechtlich unwirksam. Als Faustregel gilt: Beträgt die Rechnung mehr als das Doppelte des ortsüblichen Preises, ist Sittenwidrigkeit naheliegend. Nacht- und Wochenendzuschläge sind zwar erlaubt, rechtfertigen aber keine Fantasiepreise. Betroffene sollten Quittungen stets prüfen, Zahlungen nur unter Vorbehalt leisten und überzogene Beträge zurückfordern. Die aktuelle Rechtsprechung zeigt klar: Schlüsseldienstabzocke muss niemand widerspruchslos akzeptieren.
Heike und Mario hatten dann am Ende noch Glück im Unglück, denn während der Wartezeit hatte Mario auf der Internetseite des Schlüsseldienstes sich dessen Preistabelle näher angesehen. Dort war geregelt, dass das Öffnen außerhalb der Geschäftszeiten lediglich 135 € anstatt der verlangten 180 € kostet. Eine solche Erhöhung war nur für Feiertage und für Zeiten nach 22:00 Uhr, nicht aber für Sonntage geregelt. Der Monteur war darüber zwar nicht glücklich, musste dann aber aufgrund der erdrückenden Beweislage von seiner ursprünglichen Forderung nach 180 € abrücken und verschwand, nachdem er das Geld eingesteckt hatte, wort- und grußlos in den Sonntagabend.