Sozialhilferegress ist derzeit ein Thema, dass viele Kinder beschäftigt, deren Eltern in die Jahre gekommen sind, und die befürchten im Falle eines unumgänglichen Heimaufenthalts vom Sozialträger zur Kasse gebeten zu werden. Dass dieses Thema leibliche Kinder betrifft, ist hinlänglich bekannt. Nicht dagegen, dass auch für adoptierte Kinder die Gefahr bestehen kann, jedenfalls dann, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sind, am Ende für die Heimunterbringung ihrer leiblichen Eltern bezahlen zu müssen.
1. Ausgangslage: Wann greift der Sozialhilferegress überhaupt?
Wenn Einkommen und Vermögen pflegebedürftiger Eltern – etwa bei Heimunterbringung – nicht ausreichen, um die Kosten zu decken, übernimmt der Sozialhilfeträger die ungedeckten Aufwendungen.
Nach den §§ 1601 ff. BGB und § 94 SGB XII kann der Träger anschließend auf die Kinder Rückgriff nehmen. Seit Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes gilt jedoch eine wesentliche Grenze: Eine Unterhaltspflicht besteht erst, wenn das Jahresbruttoeinkommen über 100.000 € liegt (§ 94 Abs. 1a SGB XII).
Das Bundessozialgericht hat 2024 klargestellt, dass Auskunft über Einkünfte nur verlangt werden darf, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein solch hohes Einkommen bestehen (BSG, Urteil vom 21.11.2024 – B 8 SO 5/23 R).
2. Der entscheidende Punkt: Besteht die Verwandtschaft zu den leiblichen Eltern fort?
Ob ein adoptiertes Kind gegenüber seinen leiblichen Eltern noch unterhaltspflichtig ist, hängt von der Art der Adoption und vom Zeitpunkt der Entscheidung ab.
2.1 Minderjährigenadoption
Bei der Adoption eines Minderjährigen werden die bisherigen verwandtschaftlichen Beziehungen vollständig aufgehoben. Das Adoptivkind tritt rechtlich vollständig an die Stelle eines leiblichen Kindes des Annehmenden. Diese sogenannte Volladoption besteht seit der Reform des Adoptionsrechts von 1976/1977. Gegenüber den leiblichen Eltern besteht danach keine Verwandtschaft und damit auch keine Unterhaltspflicht mehr (§ 1755 BGB).
2.2 Volljährigenadoption – „einfache“ und „starke“ Adoption
Bei der Adoption eines Erwachsenen handelt es sich in der Regel um eine einfache Adoption: Das neue Eltern-Kind-Verhältnis zum Annehmenden entsteht, die Verwandtschaft zu den leiblichen Eltern bleibt jedoch bestehen (§ 1770 BGB).
Nur ausnahmsweise kann das Familiengericht die Wirkungen einer Minderjährigenadoption anordnen – dann liegt eine „starke Erwachsenenadoption“ vor (§ 1772 BGB).
In diesem Fall erlischt die Verwandtschaft zur Herkunftsfamilie, und eine Unterhaltspflicht gegenüber den leiblichen Eltern besteht nicht mehr.
3. Historische Entwicklung: altes und neues Recht
Vor der Reform 1976/1977 war die Adoption grundsätzlich schwächer ausgestaltet. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zur Herkunftsfamilie blieben meist bestehen. Erst die Reform führte die Volladoption für Minderjährige ein, während bei Erwachsenen die einfache Adoption der Regelfall blieb. Für ältere Beschlüsse – etwa aus den 1950er- und 1960er-Jahren – gilt daher:
Sie begründen regelmäßig nur ein zusätzliches, nicht aber ein ausschließendes Kindschaftsverhältnis. Die Herkunftsverwandtschaft bleibt erhalten.
4. Aktuelle Rechtsprechung
- Bundessozialgericht (2024): Ein Sozialamt darf Auskunft über Einkommen nur verlangen, wenn konkrete Hinweise auf ein Einkommen über 100.000 € bestehen (B 8 SO 5/23 R).
- Bundesgerichtshof (2024/2025): Die Bemessung des Selbstbehalts beim Elternunterhalt bleibt eine Einzelfallentscheidung; eine starre Ableitung aus der 100.000-€-Grenze ist unzulässig (BGH XII ZB 6/24).
- BGH zur Volljährigenadoption: Die starken Wirkungen nach § 1772 BGB sind die Ausnahme und müssen ausdrücklich angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020).
5. Praxisempfehlung für Betroffene
- Adoptionsbeschluss prüfen: Wird § 1772 BGB ausdrücklich genannt, handelt es sich um eine starke Adoption. Fehlt dieser Hinweis, bleibt die Herkunftsverwandtschaft bestehen.
- Zeitpunkt der Adoption beachten: Vor 1977 ausgesprochene Adoptionen sind meist einfach und lassen das Verwandtschaftsband fortbestehen.
- Bedürftigkeit der Eltern prüfen: Nur wenn tatsächlich Hilfebedürftigkeit besteht, entsteht ein Anspruch auf Elternunterhalt (§ 1602 BGB).
- Einkommensgrenzen dokumentieren: Wer unter 100.000 € liegt, ist vom Regress vollständig befreit.
- Unterhaltsberechnung kontrollieren: Selbst bei Einkommen oberhalb der Grenze darf der Selbstbehalt nicht verletzt werden.
6. Sonderfälle
Bei ausländischen Adoptionen richtet sich die Wirkung nach dem im Anerkennungsverfahren festgestellten Recht. Maßgeblich ist, ob die Adoption dort starke oder nur einfache Wirkungen entfaltet. Auch namens- und erbrechtliche Fragen können sich unterschiedlich auswirken, berühren den Sozialhilferegress aber nicht unmittelbar.
7. Fazit
Ob ein adoptiertes Kind im Pflegefall seiner leiblichen Eltern finanziell herangezogen werden kann, hängt entscheidend von der Art der Adoption ab. Während eine Minderjährigenadoption alle Bande zur Herkunftsfamilie kappt und damit den Elternunterhalt ausschließt, bleibt bei einer einfachen Volljährigenadoption die Unterhaltspflicht bestehen. Nur wenn das Gericht ausdrücklich die starken Wirkungen nach § 1772 BGB anordnet, entfällt der Sozialhilferegress vollständig. Unabhängig davon gilt: Erst ab einem Jahreseinkommen von über 100.000 Euro kommt eine Inanspruchnahme überhaupt in Betracht. Für Betroffene lohnt sich daher eine sorgfältige Prüfung des Adoptionsbeschlusses, der Einkommensverhältnisse und der aktuellen Rechtsprechung.