Ein Mensch hat das Recht, frei darüber zu entscheiden, wem er sein Vermögen nach dem Tod zukommen lässt. Doch was passiert, wenn der Begünstigte ausgerechnet der Hausarzt ist? Ist eine solche Zuwendung wegen eines standesrechtlichen Zuwendungsverbots automatisch unwirksam? Diese spannende Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 2. Juli 2025 (Az. IV ZR 93/24) in einem aufsehenerregenden Fall beantwortet – und damit ein wichtiges Zeichen für die Testierfreiheit gesetzt.
Der Fall: Grundstück als Vermächtnis für medizinische Betreuung
Im zugrundeliegenden Fall hatte ein älterer Mann 2016 mit seinem langjährigen Hausarzt sowie zwei weiteren Personen einen „Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag“ geschlossen. Der Arzt verpflichtete sich darin zur weiteren ärztlichen Betreuung, insbesondere zu Hausbesuchen, ständiger Erreichbarkeit und medizinischer Beratung. Als Gegenleistung sollte ihm ein Grundstück des Patienten im Wege eines Vermächtnisses zufallen. Zusätzlich setzte der Erblasser eine weitere Person als Erbin seines restlichen Vermögens ein.
Nach dem Tod des Erblassers im Jahr 2018 nahm die eingesetzte Erbin den Nachlass in Besitz. Später wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arztes eröffnet, und der Insolvenzverwalter verlangte die Herausgabe des Grundstücks zugunsten der Masse – mit der Argumentation, das Vermächtnis sei wegen Verstoßes gegen § 134 BGB i.V.m. § 2171 Abs. 1 BGB unwirksam.
Die Argumentation der Vorinstanzen
Das Landgericht Bielefeld und das OLG Hamm gaben dem Insolvenzverwalter nicht Recht. Sie bewerteten die Zuwendung als sittenwidrig und nichtig gemäß § 134 BGB i.V.m. § 2171 Abs. 1 BGB. Ihre Argumentation: Der Arzt habe durch die Annahme des Grundstücks gegen das in § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä normierte Verbot verstoßen, sich von Patienten Vorteile versprechen zu lassen. Dieses Verhalten widerspreche dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und rechtfertige daher die Nichtigkeit des Vermächtnisses.
Der BGH korrigiert: Berufsordnung bindet Ärzte – nicht Patienten
Der BGH hat in seinem Urteil vom 02.07.2025 (Az. IV ZR 93/24) die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Er stellt klar: Die ärztliche Berufsordnung regelt das Verhältnis zwischen Arzt und Ärztekammer – sie begründet kein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB, das die zivilrechtliche Wirksamkeit eines Vermächtnisses beeinflusst.
§ 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä:
„Es ist dem Arzt untersagt, Geschenke oder andere Vorteile zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck entstehen kann, dass die Unabhängigkeit seiner Entscheidungen gefährdet ist.“
Nach Auffassung des Senats handelt es sich hierbei um eine rein berufsrechtliche Vorschrift, deren Missachtung allenfalls berufsrechtliche Sanktionen, nicht aber die Nichtigkeit eines Vermächtnisses zur Folge hat.
Verfassungsrechtliche Absicherung: Die Testierfreiheit
Ein zentrales Argument des BGH: Die Testierfreiheit des Patienten ist durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Der Staat darf diese Freiheit nicht durch berufsständische Normen beschränken. Für eine solche Einschränkung wäre ein formelles Gesetz des Parlaments erforderlich – eine bloße Regelung der Landesärztekammer reicht nicht aus.
Der BGH betont, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für einen Eingriff in die Testierfreiheit fehlt. Der Arzt mag gegen berufsrechtliche Pflichten verstoßen haben – der letzte Wille des Patienten bleibt davon jedoch unberührt.
Grenzen der Testierfreiheit: Verstoß gegen die guten Sitten?
Trotzdem ist die Entscheidung des BGH keine uneingeschränkte Freigabe für ärztlich initiierte Testamente. Der Senat hat den Fall an das OLG zurückverwiesen, um zu klären, ob der Erbvertrag – unabhängig vom Berufsrecht – gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) verstößt.
Wann wäre ein sittenwidriges Vermächtnis denkbar?
Ein solcher Verstoß wäre etwa dann anzunehmen, wenn der Arzt seine medizinische Hilfe nur gegen eine spätere Zuwendung angeboten hätte oder die Vereinbarung Ausdruck eines strukturellen Abhängigkeitsverhältnisses wäre. Das Berufungsgericht muss diese Aspekte im neuen Verfahren aufarbeiten.
Fazit: Zuwendungen an den Hausarzt bleiben möglich – aber mit Vorsicht
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs stärkt die Selbstbestimmung des Erblassers. Patienten dürfen ihren Hausarzt bedenken – selbst mit erheblichen Vermögenswerten. Die ärztliche Berufsordnung steht dem nicht entgegen. Damit wird deutlich: Standesrecht schützt nicht das Erbrecht.
Allerdings sollten solche Zuwendungen gut überlegt und sauber dokumentiert sein. Insbesondere bei nahen, von Fürsorge und Abhängigkeit geprägten Verhältnissen können zivilrechtliche Sittenwidrigkeitsbedenken aufkommen. Gerade wenn Gegenleistungen erbracht wurden, sollten notarielle Testamente und juristische Beratung in Anspruch genommen werden.
Unser Tipp:
Wer als Arzt oder Pflegekraft in einem Testament bedacht wird oder eine solche Zuwendung beabsichtigt, sollte frühzeitig rechtliche Beratung einholen, um spätere Anfechtungen zu vermeiden. Wenn Sie sich in einer vergleichbaren Situation befinden – sei es als Erblasser, Bedachter oder Erbe – beraten wir Sie gerne individuell. Kontaktieren Sie uns für ein vertrauliches Erstgespräch.