Ob Sommerurlaub in den Alpen oder Surfabenteuer an der Atlantikküste – viele Arbeitnehmer nutzen die freie Zeit, um aktiv zu sein und neue Erlebnisse zu sammeln. Doch nicht selten folgt auf das Urlaubsvergnügen ein unerwünschter Zwischenstopp: krank zurück am Arbeitsplatz oder gleich mit einer ärztlichen Krankschreibung im Gepäck. Für Arbeitgeber stellt sich dann oft die Frage: Muss der Lohn auch dann fortgezahlt werden, wenn sich der Arbeitnehmer beim Risikosport verletzt oder anderweitig krank zurückkehrt? Und für Arbeitnehmer: Droht der Verlust der Lohnfortzahlung wegen „eigener Schuld“?
Im folgenden Beitrag erläutern wir praxisnah und rechtlich fundiert, wann trotz risikobehafteter Freizeitaktivitäten im Urlaub ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht – und wann nicht.
Gesetzliche Grundlage: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) haben Arbeitnehmer im Krankheitsfall für die Dauer von bis zu sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Die Voraussetzung: Die Arbeitsunfähigkeit darf „ohne Verschulden“ des Arbeitnehmers eintreten.
Was bedeutet „Verschulden“ im Urlaub?
Tatsächlich geht der Gesetzgeber nicht von einem generellen Verschulden aus, nur weil eine gewisse Gefahr besteht. Entscheidend ist die konkrete Ausgestaltung der Freizeitaktivität und das Verhalten des Arbeitnehmers dabei.
So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 20.03.2024 (Az. 5 AZR 235/23) klargestellt:
„Ein Verschulden liegt nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer erheblich gegen das Verhalten verstößt, das von einem verständigen Menschen im eigenen gesundheitlichen Interesse erwartet wird.“
Verschulden: Maßstab ist nicht das Freizeitverhalten an sich
Mit anderen Worten: Nicht der Arbeitgeber muss geschützt werden, sondern der Maßstab ist die objektive Selbstfürsorge des Arbeitnehmers. Nur wer sich leichtfertig und entgegen seiner körperlichen Möglichkeiten einer übermäßigen Gefahr aussetzt – etwa als Anfänger ohne Anleitung eine extreme Kletterroute wählt oder beim Surfen grundlegende Sicherheitsregeln ignoriert –, kann den Anspruch auf Lohnfortzahlung verlieren.
Fallgruppen aus der Praxis: Wann liegt ein „Verschulden“ vor?
Die Rechtsprechung ist eindeutig: Nicht jede Erkrankung oder Verletzung während des Urlaubs ist selbstverschuldet im Sinne des § 3 EFZG. Maßgeblich sind insbesondere folgende Fallgruppen:
Kein Verschulden:
- Ein geübter Mountainbiker stürzt auf einem markierten Trail trotz angemessener Schutzausrüstung.
- Ein Surfer mit langjähriger Erfahrung verletzt sich bei normalen Wetterbedingungen.
- Ein erfahrener Kletterer stürzt trotz Einhaltung aller Sicherheitsvorgaben durch Fremdverschulden.
Mögliches Verschulden:
- Ein Anfänger versucht sich ohne Anleitung im Wildwasserrafting der Stufe IV.
- Eine Person mit Herzkrankheit nimmt ohne Rücksprache mit einem Arzt an einem Höhen-Trekking teil.
- Jemand fährt betrunken E-Scooter und stürzt – auch das ist Freizeitverhalten mit Eigenverantwortung.
Neuere Entwicklungen dehnen das Verständnis von „selbstverschuldeter Erkrankung“ noch weiter aus. So urteilte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein am 22.05.2025 (Az. 5 Sa 284 a/24) über den Fall einer entzündeten Tätowierung. Die Tätowierung war während des Urlaubs gestochen worden; infolge einer Entzündung war der Arbeitnehmer arbeitsunfähig.
Das Gericht entschied:
„Wer sich freiwillig und ohne zwingenden Grund einem vorhersehbaren Gesundheitsrisiko aussetzt, trägt unter Umständen das Risiko der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit.“
Je vermeidbarer ein Risiko ist und je leichtfertiger es eingegangen wurde, desto eher liegt ein Verschulden vor – mit der Folge, dass die Lohnfortzahlung entfällt.
Praktische Tipps für Arbeitnehmer
Damit Sie nicht riskieren, im Krankheitsfall auf Ihrem Lohn sitzen zu bleiben, beachten Sie folgende Hinweise:
- Einschätzung der eigenen Fähigkeiten: Überschätzen Sie sich nicht bei sportlichen Aktivitäten. Sichern Sie sich bei Bedarf durch einen Trainer oder Guide ab.
- Sicherheitsvorkehrungen beachten: Helm, Protektoren, Schwimmweste – alles, was der Sicherheit dient, ist Pflicht.
- Medizinische Vorerkrankungen berücksichtigen: Bei bestehenden Gesundheitsrisiken vorher ärztlich beraten lassen.
- Verhalten nach der Erkrankung: Eine unverzügliche und ordnungsgemäße Krankmeldung mit ärztlichem Attest ist essenziell (§ 5 EFZG).
Fazit: Abenteuer ja – aber mit Verantwortung
Ob eine Krankheit oder Verletzung während oder unmittelbar nach dem Urlaub zu einem Anspruch auf Lohnfortzahlung führt, hängt entscheidend vom Einzelfall ab. Weder risikoreiche Hobbys noch spontane Entscheidungen führen automatisch zum Verlust des Anspruchs. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitnehmer gegen ein Mindestmaß an Selbstschutz verstoßen hat. Nur wenn dieser objektive Maßstab verletzt wird – etwa durch grob leichtsinniges Verhalten – kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern.
Wer sich verantwortungsvoll verhält und seine Fähigkeiten realistisch einschätzt, darf sich auch weiterhin auf sportliche Aktivitäten im Urlaub freuen – ohne Sorge um den Lohn im Krankheitsfall.
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