Seit dem Ende der pandemiebedingten Homeoffice-Pflicht kehren viele Unternehmen zur Präsenzarbeit zurück. Doch nicht alle Beschäftigten folgen dem Ruf ins Büro ohne Weiteres. Zunehmend werden Arbeitgeber mit ärztlichen Attesten konfrontiert, die eine Tätigkeit im Homeoffice „empfehlen“ oder gar „verordnen“. Das wirft zentrale arbeitsrechtliche Fragen auf: Welche rechtliche Bedeutung haben solche Atteste? Besteht bei ärztlicher Anordnung ein Anspruch auf Homeoffice – oder bleibt es beim Direktionsrecht des Arbeitgebers?
I. Rechtliche Einordnung ärztlicher Homeoffice-Empfehlungen
1. Kein Gleichlauf mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Ein Attest, das dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit im Homeoffice nahelegt, ist rechtlich nicht mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gleichzusetzen. Nach § 2 AU-Richtlinie liegt eine Arbeitsunfähigkeit vor, wenn die bisher ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung einer Erkrankung ausgeübt werden kann. In diesem Fall entfällt die Arbeitspflicht, § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) garantiert aber den Lohnfortzahlungsanspruch.
Demgegenüber lässt ein Homeoffice-Attest typischerweise die Arbeitsfähigkeit gerade nicht entfallen – es koppelt sie jedoch an den Arbeitsort „zu Hause“. Der hohe Beweiswert einer AU-Bescheinigung greift hier nicht. Auch eine reduzierte Wegefähigkeit (etwa aus psychischen Gründen) führt nicht zu Arbeitsunfähigkeit, denn der Weg zur Arbeit zählt rechtlich nicht zur geschuldeten Arbeitsleistung, sondern fällt in den Risikobereich des Arbeitnehmers.
2. Kein gesetzlicher Anspruch auf Homeoffice
Ein genereller gesetzlicher Anspruch auf Homeoffice besteht derzeit nicht. Lediglich besondere gesetzliche Schutzvorschriften – z. B. § 164 Abs. 4 SGB IX für schwerbehinderte Menschen – oder arbeitsvertragliche oder kollektivrechtliche Vereinbarungen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung) können entsprechende Rechte begründen.
Das bedeutet: Allein durch Vorlage eines ärztlichen Attests entsteht kein durchsetzbarer Anspruch auf Arbeit im Homeoffice. Dennoch darf der Arbeitgeber ein solches Attest nicht ignorieren, sondern muss es im Rahmen seines Direktionsrechts berücksichtigen.
II. Direktionsrecht nach § 106 GewO und Ermessensausübung
1. Ausübung des Direktionsrechts
Gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) bestimmt der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen. Dabei sind die Interessen beider Seiten zu würdigen: gesundheitliche Belange des Arbeitnehmers auf der einen, betriebliche Erfordernisse auf der anderen Seite.
2. Berücksichtigung ärztlicher Empfehlungen
Ein ärztliches Attest ist in diesem Zusammenhang ein relevanter Abwägungsfaktor – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Arbeitgeber darf und sollte daher hinterfragen, auf welcher medizinischen Grundlage die Empfehlung beruht und ob sie nachvollziehbar und belastbar ist. Eine automatische Verpflichtung zur Umsetzung besteht nicht.
III. Anforderungen an die ärztliche Empfehlung
Der Arbeitgeber hat das Recht, genauere Informationen zu verlangen, um eine ordnungsgemäße Ermessensausübung zu ermöglichen. Zwar muss der Arbeitnehmer keine Diagnose offenlegen, wohl aber muss das Attest so konkret sein, dass sich daraus ergibt, warum die Tätigkeit im Betrieb unzumutbar ist.
In vergleichbaren Fällen – etwa Maskenbefreiung, Schwangerschaftsschutz oder individuelle Arbeitsplatzanpassungen – verlangt die Rechtsprechung nachvollziehbare medizinische Gründe. Diese müssen auf konkrete arbeitsplatzbezogene Bedingungen bezogen sein. Entsprechendes ist auch für Homeoffice-Bescheinigungen zu fordern.
Die Angaben können durch den Arbeitnehmer oder – mit seiner Einwilligung – durch den behandelnden Arzt ergänzt werden. Eine Pflicht zur Vorstellung beim Betriebsarzt besteht regelmäßig nicht. Bestehen allerdings Zweifel an einer tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit, kann der Arbeitgeber gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einschalten.
IV. Mögliche Maßnahmen und Alternativen
Bleibt es bei der Feststellung, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, jedoch unter bestimmten Bedingungen (etwa nur im Homeoffice), ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dieser Forderung blind zu folgen. Vielmehr sind Alternativen zu prüfen, z. B.:
- Umgestaltung des Arbeitsplatzes (ergonomische Anpassungen)
- Einzelbüro oder räumliche Trennung
- Nutzung flexibler Arbeitszeiten
- Schutzmaßnahmen im Betrieb
- vorübergehende andere Tätigkeit
Wichtig ist eine einzelfallbezogene Betrachtung, bei der der Arbeitgeber idealerweise das Gespräch mit dem Arbeitnehmer sucht, um eine konsensuale Lösung zu finden.
V. Konsequenzen bei eigenmächtiger Homeoffice-Nutzung
Verlegt der Arbeitnehmer seinen Arbeitsort ohne Zustimmung eigenmächtig ins Homeoffice, obwohl der Arbeitgeber eine Präsenzpflicht angeordnet hat, liegt eine Arbeitsverweigerung vor. Dies kann den Entgeltanspruch entfallen lassen und eine Abmahnung nach sich ziehen. Im Wiederholungsfall kann eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommen – vorausgesetzt, der Arbeitnehmer handelt vorsätzlich und wurde zuvor klar gewarnt.
Auch im Fall einer Kündigung sind jedoch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Mildere Mittel wie Abmahnung oder Klärungsgespräche müssen ausgeschöpft worden sein.
VI. Fazit: Kein Freibrief, aber ernst zu nehmen
Homeoffice-Atteste sind kein rechtlich bindender Befehl – aber ein relevanter Faktor im arbeitsrechtlichen Gefüge. Arbeitgeber sollten ärztliche Empfehlungen weder ignorieren noch unreflektiert übernehmen. Entscheidend ist eine sachgerechte, dokumentierte Ermessensausübung im Rahmen von § 106 GewO, bei der sowohl medizinische Gründe als auch betriebliche Interessen berücksichtigt werden.
In der Praxis empfiehlt es sich, standardisierte interne Abläufe zu etablieren, um mit Homeoffice-Empfehlungen sachgerecht umzugehen. So lassen sich nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern auch eine transparente, faire und gesundheitsorientierte Unternehmenskultur stärken.
Eigene Bewertung
Die arbeitsrechtliche Praxis wird sich zunehmend mit der Frage konfrontiert sehen, wie weit ärztliche Empfehlungen zum Arbeitsort reichen. Eine gerichtliche Klärung konkreter Fallgestaltungen steht bislang aus. Arbeitgeber sind daher gut beraten, durch rechtssichere Prozesse und einzelfallorientierte Kommunikation für Klarheit und Fairness im Umgang mit Homeoffice-Attesten zu sorgen.