Der Verband Sozialer Wettbewerb e.V. (VSW) geht seit Jahren konsequent gegen gesundheitsbezogene Aussagen bei Lebensmitteln vor. Besonders häufig im Fokus: der Begriff „bekömmlich“ – sei es bei Tee, Kaffee oder anderen (alkoholischen oder nicht-alkoholischen) Lebensmitteln. Hintergrund sind die Vorgaben der europäischen Health-Claims-Verordnung (HCVO) und die hierzu ergangene Rechtsprechung. Wer hier unbedacht eine Unterlassungserklärung abgibt, riskiert hohe Vertragsstrafen. Der Beitrag erläutert die Rechtslage, fasst die wichtigsten Urteile zusammen und zeigt, wie Sie auf eine Abmahnung richtig reagieren.
1) Der typische Fall – abstrakte Einordnung
Ein Händler bewirbt z. B. einen Tee oder Kaffee online als „bekömmlich“ bzw. hebt die „Bekömmlichkeit“ hervor. Der VSW mahnt dies als gesundheitsbezogene Angabe ab und verlangt die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Nicht selten folgt später ein weiteres Anwaltsschreiben: Man habe erneut eine „bekömmlich“-Formulierung gefunden – es werde nun Vertragsstrafe in Höhe von mehreren 1000 € verlangt. Die Praxis zeigt, dass solche Konstellationen regelmäßig Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Auseinandersetzungen sind.
2) Rechtsrahmen: Warum „bekömmlich“ problematisch ist
a) Health-Claims-Verordnung (HCVO)
Die HCVO (VO (EG) Nr. 1924/2006) regelt nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben. Gesundheitsbezogen ist jede Angabe, mit der eine Beziehung zwischen Lebensmittel und Gesundheit hergestellt wird (Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO). Solche Angaben sind nur zulässig, wenn sie zugelassen sind und die strengen Formvorgaben (Art. 10 HCVO) erfüllen. Für alkoholische Getränke > 1,2 Vol.-% sind gesundheitsbezogene Angaben generell verboten (Art. 4 Abs. 3 HCVO). Auch wenn dieser Sonderfall hier nicht im Mittelpunkt steht, zeigt er, wie streng der Gesetzgeber Gesundheitsbezüge bewertet.
b) „Bekömmlich“ = Gesundheitsbezug – auch bei nicht-alkoholischen Lebensmitteln
Die Rechtsprechung stuft „bekömmlich“ bei Lebensmitteln regelmäßig als (unspezifische) gesundheitsbezogene Angabe ein. Bei nicht-alkoholischen Produkten ist eine solche Angabe nur zulässig, wenn sie zusammen mit einem zugelassenen spezifischen Health-Claim erfolgt – was in der Praxis selten der Fall ist.
c) Wettbewerbsrechtlicher Hebel: Marktverhaltensregel
Verstöße gegen lebensmittel- und verbraucherschützende Vorschriften sind zugleich Verstöße gegen Marktverhaltensregeln und damit unlauter. Maßgeblich ist § 3a UWG. Auf dieser Grundlage verfolgen qualifizierte Verbände – wie der VSW – Unterlassungsansprüche.
3) Leitentscheidungen: So sehen die Gerichte „bekömmlich“
EuGH „Deutsches Weintor“ (C-544/10, 06.09.2012): „Bekömmlich“ (Wein) ist eine gesundheitsbezogene Angabe; das strikte Verbot bei Alkohol ist unionsrechtskonform. Kernaussage: Es genügt, dass suggeriert wird, negative Auswirkungen fehlten oder würden gemindert.
BGH „Bekömmliches Bier“ (I ZR 252/16, 17.05.2018): Der Begriff „bekömmlich“ ist ein Gesundheitsversprechen, kein bloßes Qualitäts- oder Geschmacksurteil; Werbung damit bei Bier ist unlauter nach § 3a UWG in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Verbot.
OLG München (Beschl. v. 11.02.2020 – 29 W 1562/19): Kaffee als „bekömmlich“ (z. B. wegen spezieller Röstung) ist ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die HCVO; der Begriff wird als gesundheitsbezogene Angabe gewertet.
LG Düsseldorf (Urt. v. 10.02.2023 – 38 O 59/22): Auch bei sonstigen Lebensmitteln sind „bekömmlich“ bzw. „wohltuend“ gesundheitsbezogene Angaben – zulässig nur unter den Voraussetzungen der HCVO; regelmäßig zu unterlassen.
Konsequenz: Für nicht-alkoholische Produkte (z. B. Tee, Kaffee, Kräuterwaren) ist „bekömmlich“ grundsätzlich unzulässig, sofern die HCVO-Voraussetzungen nicht eingehalten werden – insbesondere fehlt es typischerweise an einem zugelassenen spezifischen Claim, der die Aussage trägt.
4) Warum mahnt gerade der VSW – und darf er das?
Der VSW ist ein qualifizierter Wirtschaftsverband im Sinne von § 8b UWG und daher zur Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche befugt. Die Aktivlegitimation qualifizierter Verbände ist bewusst gesetzlich ausgestaltet, um einheitliche Marktstandards zu sichern.
5) Nebenabmahnungen: Informationspflichten & Grundpreise
In der Praxis kombiniert der VSW „bekömmlich“-Rügen häufig mit Informationspflichtverstößen, etwa nach der LMIV (z. B. Pflichtangaben) oder der Preisangabenverordnung. Für Online-Angebote sind insbesondere der Grundpreis und weitere Pflichtangaben zu beachten. Maßgeblich sind § 4 PAngV und § 5 PAngV. Verstöße hiergegen begründen ebenfalls Unlauterkeit nach § 3a UWG.
6) Risiko „Unterlassungserklärung“: Vorsicht vor weit gefassten Klauseln
a) Unterlassung ja – aber richtig
Die Wiederholungsgefahr entfällt grundsätzlich erst durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Im Wettbewerbsrecht ist die Vertragsstrafe das zentrale Druckmittel. Häufig wird der sog. „(Neue) Hamburger Brauch“ verwendet: Der Gläubiger bestimmt die Höhe der Vertragsstrafe nach billigem Ermessen; die Gerichte können das im Streitfall überprüfen.
b) Nachverstoß & zweite Erklärung
Auch nach einem Verstoß kann eine erneute Unterlassungserklärung nach Hamburger Brauch geeignet sein, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen; die bereits verwirkte Vertragsstrafe bleibt hiervon unberührt. Das erhöht den finanziellen Druck im Wiederholungsfall erheblich.
c) Höhe der Vertragsstrafe
Die Angemessenheit bemisst sich nach Art, Ausmaß und Folgen der Zuwiderhandlung. Sehr niedrige Beträge gelten regelmäßig nicht als ausreichend abschreckend. In der Praxis werden bei Online-Verstößen mehrere Tausend Euro verlangt; die konkrete Festsetzung ist gerichtlich korrigierbar. All dies folgt dem Maßstab des § 3a UWG in Verbindung mit den einschlägigen lebensmittel- und verbraucherschützenden Normen.
7) Handlungsempfehlungen für Händler
- Sofort prüfen & bereinigen: Entfernen Sie alle „bekömmlich“-Formulierungen (auch Synonyme wie „leicht bekömmlich“, „bekömmliche Röstung“, „wohltuend“) in Produkttexten, Blogbeiträgen und Metadaten. Dokumentieren Sie die Bereinigung.
- Abmahnung ernst nehmen: Fristen laufen kurz. Prüfen Sie die Aktivlegitimation (z. B. Einordnung als qualifizierter Verband nach § 8b UWG) und die Konkretheit der Rügen.
- Unterlassungserklärung verhandeln: Keine „Copy-Paste“-Unterschrift. Ziel: enger Verbotstatbestand, angemessene Vertragsstrafenregel (ggf. Hamburger Brauch), klare Adressierung des Kernbereichs.
- Zweitverstoß vermeiden: Interne Redaktions- und Freigabeprozesse etablieren; Sensibilisierung für Health-Claims (auch Begriffe wie „detox“, „gut für …“, „beruhigend“ sind heikel).
- Informationspflichten mitprüfen: Bei Abmahnungen gleich § 4 PAngV und § 5 PAngV (Grundpreise) sowie weitere Pflichtangaben überprüfen; Unlauterkeit über § 3a UWG.
8) Fazit
„Bekömmlich“ ist nach aktueller Rechtsprechung bei Lebensmitteln keine harmlose Qualitätsfloskel, sondern regelmäßig eine gesundheitsbezogene Angabe – und damit nur unter engen Voraussetzungen der HCVO zulässig. Bei nicht-alkoholischen Produkten fehlt es fast immer an einem zugelassenen spezifischen Health-Claim, der die Aussage tragen könnte; die Folge sind berechtigte Abmahnungen qualifizierter Verbände wie des VSW. Wer vorschnell Unterlassungserklärungen unterschreibt, riskiert eine langjährige Vertragsstrafenexposition und empfindliche Zahlungen schon bei kleinsten Redaktionsversäumnissen. Unsere Empfehlung: frühzeitig rechtlich prüfen, gezielt verhandeln und Inhalte systematisch bereinigen – dann behalten Sie Kontrolle über Reichweite und Risiko Ihrer Erklärung. Maßgebliche nationale Anknüpfungspunkte bleiben § 3a UWG, § 8b UWG sowie die Preisangabenpflichten nach § 4 PAngV und § 5 PAngV.