Die Corona-Pandemie brachte eine Welle staatlicher Unterstützungsprogramme (Soforthilfe, Überbrückungshilfen, Neustarthilfen). Jahre später sehen sich viele Empfängerinnen und Empfänger mit Widerrufs- und Rückforderungsbescheiden konfrontiert. Dieser Beitrag zeigt kompakt, wann Klagen gegen solche Bescheide Aussicht auf Erfolg haben, welche Argumente Gerichte überzeugen und warum sich eine auffällige Länderdivergenz – insbesondere zugunsten von NRW/Baden-Württemberg und zulasten Bayerns – herausgebildet hat.
Erfolgskriterien: Woran Klagen häufig scheitern – und wo sie gewinnen
Vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich in Gottes Hand. Gleichwohl lassen sich anhand der ergangene Entscheidungen eine Trends erkennen
1) Bestimmtheit und Vorbehalte im Bewilligungsbescheid
Ohne klaren Rückzahlungsvorbehalt oder ohne eindeutig geregeltes Rückmelde-/Endabrechnungsverfahren fehlt es oft an der tragfähigen Grundlage für eine spätere Rückforderung. Gerichte heben Rückforderungs- bzw. Schlussbescheide auf, wenn die Verwaltung ex post Bedingungen „hineinliest“, die im Bewilligungsbescheid nicht angelegt waren. Prüfen Sie daher, ob der ursprüngliche Zuwendungsbescheid den Widerrufstatbestand (§ 49 VwVfG) oder eine Rücknahmebasis (§ 48 VwVfG) tatsächlich trägt und ob eine Erstattungsverpflichtung (§ 49a VwVfG) sauber hergeleitet ist.
2) Vertrauensschutz und Kommunikationsstand zum Bewilligungszeitpunkt
Wechselnde FAQ, missverständliche Formulare und uneinheitliche Hinweise begründen schutzwürdiges Vertrauen. Eine nachträglich engere Auslegung (z. B. Reduktion auf reinen „Liquiditätsengpass“) ist rechtlich problematisch, wenn der ursprüngliche Kommunikationsstand breiter war. Auch hier knüpfen Gerichte an § 48 VwVfG/§ 49 VwVfG an und verlangen eine faire Abwägung.
3) Methodik der Rückforderungsberechnung (Liquiditätsengpass)
Ein häufiger Fehler ist die pauschale Drei-Monats-Saldierung. Überzeugend ist die tages- bzw. zeitpunktbezogene Betrachtung: Maßgeblich ist, ob zum Verwendungszeitpunkt ein Engpass bestand. Wird schematisch saldiert, fehlt es oft an einer tragfähigen Begründung im Sinne von § 39 VwVfG. Entsprechende Bescheide sind angreifbar.
4) Ermessensfehler und Billigkeitsinstrumente
Selbst wenn ein Widerrufs-/Rücknahmegrund vorliegt (§ 49 VwVfG/§ 48 VwVfG), bleibt Ermessen: pauschale Automatismen („Überkompensation = Vollrückforderung“) sind rechtswidrig. Gerichte beanstanden Ermessensnichtgebrauch, fehlende Einzelfallwürdigung oder ignorierte Härtefälle; flankierend sind Stundung/Erlass in den Blick zu nehmen.
5) Formelle Fehler: Anhörung, Begründung, Automatisierung
Fehlt die ordnungsgemäße Anhörung (§ 28 VwVfG) oder eine tragfähige Begründung (§ 39 VwVfG), ist der Bescheid bereits formell angreifbar. Wurde der Rückforderungsbescheid vollautomatisiert erlassen, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage (§ 35a VwVfG); fehlt sie, ist der Bescheid regelmäßig rechtswidrig.
Bundesländer im Vergleich: NRW/Baden-Württemberg vs. Bayern
Am Ende hängt es nicht nur davon ab, auf wessen Schreibtisch die Klage landet, sondern in welchem Bundesland geklagt werden muss.
Ländertrends
Unsere bundesweite Auswertung zeigt: In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wurden zahlreiche Rückforderungs- und Schlussbescheide aufgehoben – häufig wegen unklarer Bescheidslage (kein klarer Rückzahlungsvorbehalt), methodischer Fehler (unzulässige Saldierung) oder Ermessensdefiziten. In NRW haben zudem Obergerichte klägerfreundliche Linien bestätigt.
Bayern sticht dagegen durch eine restriktive Spruchpraxis hervor: Viele bayerische Bewilligungsbescheide enthielten von Anfang an deutliche Rückzahlungs-/Überkompensationsvorbehalte und klare Rückmeldepflichten. Bayerische Verwaltungsgerichte bestätigen Rückforderungen deshalb vergleichsweise häufig; Vertrauensschutz- oder Bestimmtheitsargumente greifen seltener. Umso wichtiger ist hier der Angriff über die Ermessensausübung, die Methodik der Engpassprüfung und formelle Fehler.
Programmnuancen
Die meisten Urteile betreffen die Soforthilfe 2020. Bei der Neustarthilfe scheitern Klagen häufig an klar geregelten Abrechnungsfristen; verspätete Endabrechnungen führen regelmäßig zur (teilweisen) Rückforderung. Bei den Überbrückungshilfen stand seltener die Komplett-Rückforderung im Streit, sondern die Förderfähigkeit einzelner Kostenpositionen – die Erfolgsaussichten hängen stark vom Einzelfall und der Dokumentation ab.
Praxisleitfaden: So strukturieren Sie Ihre Klage
- Bescheid lesen wie ein Vertrag: Gibt es einen eindeutigen Rückzahlungsvorbehalt? Wurde eine Endabrechnung verbindlich angeordnet? Wenn nein: Ansatz über Bestimmtheit (§ 49 VwVfG), Rücknahmebasis (§ 48 VwVfG) und Erstattung (§ 49a VwVfG) prüfen.
- Kommunikationsstand sichern: FAQ, Merkblätter, Presseinfos zum Bewilligungszeitpunkt dokumentieren – Vertrauensschutz stützen (§ 48 VwVfG/§ 49 VwVfG).
- Liquiditätsengpass belegen: Taggenaue Liquiditätsrechnung statt grober Dreimonatssalden. Begründungsdefizite rügen (§ 39 VwVfG).
- Ermessen angreifen: Schematische Vollrückforderung = Ermessensfehler. Härtegesichtspunkte, Raten/Stundung/Erlass anführen; prozessual ggf. § 80 VwGO nutzen.
- Formalien prüfen: Anhörung (§ 28 VwVfG), Automatisierung (§ 35a VwVfG), Begründung (§ 39 VwVfG).
- Fristen wahren: Rechtzeitig Klage erheben; Berufungszulassung bedenken (§ 124 VwGO).
Rechtsprechungsbild (ausgewählte Linien)
- OVG-Linie (NRW): Schlussbescheide ohne Bescheidsgrundlage und vollautomatisiert erlassene Rückforderungsbescheide sind rechtswidrig (§ 35a VwVfG); fehlende klare Vorbehalte gehen zulasten der Behörde (§ 48 VwVfG/§ 49 VwVfG).
- VG-Linie (BW): Keine pauschale Drei-Monats-Saldierung; maßgeblich ist der Engpass zum Verwendungszeitpunkt (Begründungs- und Methodenfehler, § 39 VwVfG).
- Bayern: Häufig Bestätigung von Widerruf/Rückforderung wegen klarer Bescheidsvorbehalte; in der Klagebegründung daher stärker über Ermessensfehler (§ 49 VwVfG) und Berechnungsmethodik angreifen.
Fazit
Erfolgreiche Klagen gegen Rückforderungen von Corona-Hilfen stützen sich regelmäßig auf drei Säulen:
(1) Bestimmtheit und fehlende oder unklare Vorbehalte im Bewilligungsbescheid (§ 48 VwVfG/§ 49 VwVfG/§ 49a VwVfG),
(2) Vertrauensschutz bezogen auf den Kommunikationsstand zum Bewilligungszeitpunkt,
(3) Methodik der Engpassberechnung und Ermessensausübung (inkl. Billigkeit).
Während NRW und Baden-Württemberg zahlreiche Klägererfolge verzeichnen, verfolgt Bayern eine sichtbar restriktive Linie – hier empfiehlt sich der Fokus auf Ermessens- und Methodenfehler sowie formelle Mängel (Anhörung § 28 VwVfG, Begründung § 39 VwVfG, Automatisierung § 35a VwVfG). Wer diese Punkte strukturiert vorträgt und die tatsächliche Mittelverwendung sauber dokumentiert, erhöht die Erfolgschancen erheblich – auch in schwierigen Länderumfeldern.
Wenn Sie vor Gericht ziehen, dann sollten Sie sich bewusst sein, dass die Chancen zu verlieren deutlich höher sind, als die Chancen zu gewinnen. Das liegt aber bereits in der Natur der Sache, da ein Kampf ums Recht zwischen Bürger und Behörde oft nicht (mehr) auf Augenhöhe stattfindet. Gerade durch die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, der obligatorischen Verlagerung der Entscheidung von der Kammer auf den Einzelrichter und der Einschränkung der Berufungsmöglichkeit ist der zur Verfügung stehende Rechtsschutz gegen behördliche Maßnahmen in den letzten Jahren auf ein Mindestmaß zusammengeschrumpft.