Ein Testament gilt grundsätzlich solange, bis es widerrufen wird. Dies kann beispielsweise durch ein Widerruftestament erfolgen, also ein Testament, in dem ausdrücklich der Widerruf erklärt wird, ein neues Testament, als ein Testament, in dem ein geänderter Beleg niedergeschrieben wird, oder aber auch rein faktisch dadurch, dass die Urkunde zerrissen wird. Immer wieder stellen sich Erben oder Nachlassgerichte die Frage, ob ein handschriftliches Testament, das beschädigt oder sogar zerrissen aufgefunden wird, noch gültig ist. Besonders brisant wird es, wenn das Testament nicht zufällig, sondern an einem sicheren Ort wie einem Bankschließfach verwahrt wurde. Spricht die Aufbewahrung gegen eine Widerrufsabsicht – oder gerade dafür?
Mit dieser komplexen und für die Nachlasspraxis bedeutsamen Rechtsfrage hatte sich das Oberlandesgericht Frankfurt in seiner Entscheidung vom 29. April 2025 (Az. 21 W 26/25) auseinanderzusetzen.
Sachverhalt: Zerrissenes Testament im Schließfach – wirksam oder nicht?
Der Erblasser E war zunächst mit A verheiratet, später erneut mit B. Aus beiden Ehen gingen keine Kinder hervor; die Mutter des Erblassers lebte zum Zeitpunkt seines Todes noch. Nach dem Tod wurde zunächst kein Testament gefunden. Erst bei der Öffnung eines Bankschließfachs entdeckten die Angehörigen ein handschriftliches Testament aus dem Jahr 2011. Dieses war längs in der Mitte vollständig zerrissen, jedoch vollständig vorhanden.
Im Testament hatte E seinen langjährigen Freund F zum Alleinerben eingesetzt und seine damalige Ehefrau A ausdrücklich enterbt. Die Frage, ob dieses Testament noch Rechtswirkung entfaltet, obwohl es zerrissen war und in einem eigens angemieteten Bankschließfach verwahrt wurde, stand im Mittelpunkt des gerichtlichen Verfahrens.
Rechtliche Grundlagen: Widerruf eines Testaments durch Zerstörung
Gemäß § 2255 Satz 1 BGB kann ein eigenhändiges Testament nicht nur durch eine neue Verfügung, sondern auch durch Vernichtung in Widerrufsabsicht aufgehoben werden:
„Ein Testament kann durch Vernichtung der Testamentsurkunde durch den Erblasser in der Absicht, sie aufzuheben, widerrufen werden.“
Gesetzliche Vermutung der Widerrufsabsicht
Das Zivilrecht geht grundsätzlich davon aus, dass derjenige, der ein Testament eigenhändig vernichtet, dies auch mit der Absicht tut, die inhaltliche Verfügung aufzuheben. Diese sogenannte Widerrufsabsicht wird vom Gesetz vermutet, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt
Das OLG Frankfurt erkannte in dem Zerschneiden des Testaments durch den Erblasser einen eindeutigen Widerruf. Zwar wurde das Testament im Bankschließfach verwahrt – jedoch ausschließlich durch den Erblasser selbst. Aus der Unterschriftenkarte zur Benutzung des Schließfachs ergab sich, dass niemand außer ihm Zugang zum Schließfach hatte.
Keine Anhaltspunkte gegen Widerrufsabsicht
Das Gericht stellte fest:
- Der Erblasser selbst hat das Testament zerrissen.
- Die Widerrufsabsicht wird gemäß § 2255 BGB vermutet.
- Es bestehen keine Anhaltspunkte, die diese Vermutung widerlegen würden.
Der Umstand, dass der Erblasser das zerrissene Testament weiterhin in seinem Schließfach aufbewahrte, wurde nicht als Beweis gegen die Widerrufsabsicht gewertet. Zwar sei unklar, wann und weshalb er es zerriss – doch diese Unklarheit könne die gesetzliche Vermutung nicht entkräften.
Das OLG ergänzte, dass die veränderten Lebensumstände des Erblassers – insbesondere die neue Ehe – dafür sprechen, dass er die frühere Verfügung zugunsten seines Freundes und gegen seine damalige Ehefrau nicht mehr aufrechterhalten wollte.
Folge: Die gesetzliche Erbfolge trat ein, da kein wirksames Testament mehr vorlag.
Praxisrelevanz: Was Erblasser und Erben beachten sollten
1. Vernichtung = Widerruf
Ein zerrissenes, verbranntes oder anderweitig unbrauchbar gemachtes Testament wird regelmäßig als vernichtet im Sinne des § 2255 BGB angesehen – mit der Folge, dass es keine Rechtswirkung mehr entfaltet.
2. Widerrufsabsicht wird gesetzlich vermutet
Die Absicht zur Aufhebung der letztwilligen Verfügung muss nicht nachgewiesen, sondern wird vermutet. Nur wenn klare gegenteilige Indizien bestehen, kann diese Vermutung entkräftet werden.
3. Aufbewahrung widerspricht dem Widerruf nicht zwingend
Die Verwahrung im Bankschließfach oder an einem anderen sicheren Ort spricht nicht automatisch gegen einen Widerruf. Die Beweggründe des Erblassers für die weitere Aufbewahrung bleiben oft im Dunkeln – und sind im Zweifel nicht entscheidungserheblich.
4. Klare Gestaltung durch ausdrücklichen Widerruf möglich
Wer ein früheres Testament widerrufen will, sollte dies ausdrücklich erklären – etwa durch ein neues Testament mit einem einleitenden Satz wie:
„Das Testament vom [Datum] widerrufe ich hiermit ausdrücklich.“
So lassen sich spätere Zweifel oder Streitigkeiten vermeiden.
5. Alle Kopien vernichten
Auch Kopien eines Testaments können später Fragen zur Gültigkeit aufwerfen. Wer ein Testament aufheben möchte, sollte sämtliche Ausfertigungen und Kopien vernichten.
Fazit: Zerrissenes Testament im Schließfach ist in der Regel widerrufen
Die Entscheidung des OLG Frankfurt (Az. 21 W 26/25) schafft klare Verhältnisse: Ein zerrissenes Testament verliert regelmäßig seine Gültigkeit – auch dann, wenn es jahrelang in einem Schließfach aufbewahrt wurde. Entscheidend ist allein die Frage, ob die Zerstörung durch den Erblasser in Widerrufsabsicht erfolgte. Wird dies bejaht – was regelmäßig vermutet wird –, entfaltet das Testament keine Rechtswirkung mehr.
Für Erblasser bedeutet das: Wer seine Verfügung überdenken und ändern möchte, sollte nicht nur zerstören, sondern klar und eindeutig neu verfügen.
Für Erben gilt: Wird ein beschädigtes Testament gefunden, ist genau zu prüfen, ob und warum es zerstört wurde – und ob sich daraus Rückschlüsse auf eine gewollte Aufhebung ergeben.