Variable Vergütungsbestandteile – etwa Prämien, Boni, Provisionen oder Leistungszulagen – sind in vielen Unternehmen ein fester Bestandteil moderner Vergütungsmodelle. Sie sollen Leistung honorieren und Motivation steigern, führen aber häufig zu Auseinandersetzungen, wenn Ziele unklar, verspätet oder einseitig geändert werden. Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20. März 2025 (Az. 8 SLa 309/24) zeigt, dass Arbeitnehmer auch bei intransparenten Regelungen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf eine Leistungsprämie durchsetzen können.
Rechtliche Grundlagen: Vertrag, Treuepflichten und Schadensersatz
Vertragliche Ausgestaltung und Leistungsbestimmung
Ob ein Anspruch auf eine Leistungsprämie besteht, richtet sich zunächst nach der Vereinbarung im Arbeitsvertrag oder nach einer ergänzenden Zielvereinbarung. Typisch sind (i) fest vereinbarte Prämienmodelle, (ii) Rahmenregelungen mit jährlich zu bestimmenden Zielen und (iii) einseitige Zielvorgaben des Arbeitgebers im Rahmen eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB. In jedem Fall müssen Regelungen so bestimmt sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, wann und unter welchen Bedingungen ein Anspruch entsteht.
Mitwirkungs- und Rücksichtnahmepflichten
Selbst bei offenen oder rahmenhaften Regelungen trifft den Arbeitgeber eine Pflicht zu Transparenz, Mitwirkung und fairer Handhabung aus § 242 BGB. Ziele sind rechtzeitig mitzuteilen; unerreichbare oder willkürliche Zielvorgaben sind unzulässig. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflichten, kommen Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB in Betracht. Je nach Konstellation sind zudem § 281 BGB (Schadensersatz statt der Leistung) und § 283 BGB (Unmöglichkeit) einschlägig, etwa wenn die verspätete Zielvorgabe ihre Anreizfunktion nicht mehr entfalten kann.
Das Urteil des LAG Köln vom 20. März 2025 (8 SLa 309/24)
Im entschiedenen Fall machte ein Arbeitnehmer eine variable Vergütung geltend, obwohl die vertraglichen Leistungsparameter und Berechnungsgrundlagen unklar waren. Das Landesarbeitsgericht Köln betonte, dass sich der Arbeitgeber nicht auf Unbestimmtheit oder Intransparenz berufen kann, wenn er diese selbst verursacht hat. Unter dem Leitprinzip von § 242 BGB ist der Arbeitnehmer so zu stellen, als wären klare, rechtzeitig mitgeteilte Ziele vereinbart worden. Damit stärkt die Entscheidung die Arbeitnehmerposition in Bonus- und Prämienstreitigkeiten, in denen Zielsysteme lückenhaft oder unklar gehandhabt wurden.
Rechtzeitigkeit der Zielvorgabe und Anreizfunktion
Die Entscheidung des LAG Köln fügt sich in die Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein, nach der eine verspätete Zielvorgabe die Anreizfunktion verfehlt und Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB in Verbindung mit § 281 BGB auslösen kann. Maßgeblich ist, dass Ziele so früh und so transparent festgelegt werden, dass sie das Verhalten des Arbeitnehmers im Zielzeitraum tatsächlich steuern können. Wird dies vom Arbeitgeber vereitelt, ist der Bonus regelmäßig so zu ersetzen, wie er bei ordnungsgemäßer Zielvorgabe angefallen wäre.
Darlegungslast und Kausalität
Ungeachtet der Transparenzpflichten bleibt der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig für die Anspruchsvoraussetzungen. In Konstellationen unklarer Zielsysteme verlagert sich die Last jedoch teilweise auf den Arbeitgeber, der die Grundlagen der Berechnung offenlegen und die angebliche Unerreichbarkeit oder Nichterfüllung belastbar begründen muss. Gelingt ihm dies nicht, kann eine Schätzung der Prämienhöhe zugunsten des Arbeitnehmers in Betracht kommen – gestützt auf § 242 BGB und die genannten Schadensersatznormen (§ 280 BGB, § 281 BGB).
Anspruchsvoraussetzungen in der Praxis
Damit Arbeitnehmer ihre Ansprüche auf Leistungsprämien rechtssicher geltend machen können, sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- 1. Vertragliche Grundlage: Der Arbeitsvertrag oder eine Zusatzvereinbarung enthält klare Bestimmungen zu Bonus oder Prämie. Bezug auf § 315 BGB.
- 2. Transparente Zieldefinition: Messgrößen und Berechnungsgrundlagen müssen nachvollziehbar sein. Maßstab: § 242 BGB.
- 3. Rechtzeitige Zielvorgabe: Ziele müssen zu Beginn der Zielperiode festgelegt werden. Verspätung begründet ggf. Schadensersatz nach § 280 BGB i.V.m. § 281 BGB.
- 4. Keine sachwidrige Benachteiligung: Ziele dürfen nicht willkürlich oder unerreichbar sein; Fairnessgebot gemäß § 242 BGB.
- 5. Leistungsnachweis: Arbeitnehmer sollten ihre Zielerreichung dokumentieren (z. B. Umsätze, Projekte, Kennzahlen).
- 6. Fristen & Verjährung: Geltendmachung innerhalb von drei Jahren nach § 195 BGB, ggf. kürzere arbeitsvertragliche Ausschlussfristen beachten.
Handlungsempfehlungen
Das sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber beachten:
Arbeitnehmer
- Zielvorgaben und Berechnungsgrundlagen stets schriftlich einfordern und dokumentieren (§ 242 BGB).
- Bei Unklarheiten rechtzeitig Klarstellung verlangen; Verspätungen rügen (§ 280 BGB, § 281 BGB).
- Leistungsdaten (KPIs, Reports, E-Mails) sorgfältig sichern, um Anspruch und Höhe darlegen zu können.
Arbeitgeber
- Prämienregelungen klar, transparent und überprüfbar formulieren; Leistungsbestimmung an § 315 BGB ausrichten.
- Ziele zu Beginn der Zielperiode schriftlich mitteilen; Dokumentation der Gespräche und Freigaben.
- Unbestimmte oder willkürliche Klauseln vermeiden; Transparenzpflichten aus § 242 BGB beachten.
- Interne Richtlinien regelmäßig rechtlich prüfen; Nachvollziehbarkeit der Berechnungen sicherstellen.
Fazit
Leistungsprämien bleiben nur dann rechtssicher, wenn Ziele klar, nachvollziehbar und rechtzeitig vereinbart werden. Das LAG Köln (Urteil vom 20. März 2025, 8 SLa 309/24) stärkt Arbeitnehmer dort, wo Intransparenz oder verspätete Zielvorgaben die Anreizfunktion unterlaufen. Arbeitgeber, die ihre Mitwirkungs- und Transparenzpflichten aus § 242 BGB beachten und die Leistungsbestimmung am Maßstab des § 315 BGB ausrichten, senken ihr Prozessrisiko erheblich. Arbeitnehmer sollten Vertragslage, Zielkommunikation und Leistungsnachweise konsequent dokumentieren und bei Pflichtverletzungen des Arbeitgebers Schadensersatz nach § 280 BGB i.V.m. § 281 BGB bzw. § 283 BGB prüfen. Die rechtssichere Gestaltung variabler Vergütung ist damit kein Luxus, sondern eine zwingende Compliance-Aufgabe.