Die Vereinbarung einer Probezeit ist im deutschen Arbeitsrecht ein gängiges Instrument, um Arbeitgebern wie Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, die Zusammenarbeit innerhalb eines verkürzten Kündigungszeitraums zu erproben. Bei befristeten Arbeitsverträgen gilt jedoch ein strengerer rechtlicher Maßstab: Die Probezeit darf nicht unangemessen lang sein und muss im Verhältnis zur Dauer der Befristung sowie zur Art der Tätigkeit stehen.
Die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30. Oktober 2025 – 2 AZR 160/24 bringt hierzu wichtige Klarstellungen und beendet eine bislang weit verbreitete Fehlvorstellung über pauschale Regeln oder Prozentwerte.
I. Gesetzliche Grundlagen
1. § 622 BGB – Kündigungsfristen
Die rechtliche Beurteilung der Probezeitdauer bei befristeten Arbeitsverträgen richtet sich zunächst nach den allgemeinen Kündigungsfristen des § 622 BGB. Während einer vereinbarten Probezeit – maximal sechs Monate – darf die Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 3 BGB auf zwei Wochen verkürzt werden. Wird eine Probezeit vereinbart, stellt sich daher stets die Frage, wie lange diese dauern darf, damit die verkürzte Frist überhaupt gilt.
2. § 15 Abs. 3 TzBfG – Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis
Für befristete Arbeitsverträge ist zusätzlich § 15 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) maßgeblich. Diese Vorschrift verlangt, dass die Dauer der Probezeit „im Verhältnis zur Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen“ muss. Sie enthält damit eine eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung, die über die allgemeinen Bestimmungen des § 622 BGB hinausgeht.
Entscheidend ist daher nicht allein, ob die Probezeit unter sechs Monaten liegt, sondern ob sie – gemessen an Tätigkeit und Vertragsdauer – verhältnismäßig ist.
II. Die Entscheidung des BAG vom 30.10.2025 – Keine 25%-Grenze
1. Ausgangssachverhalt
Die Klägerin war für ein Jahr befristet als Customer Service Advisor eingestellt. Die Parteien vereinbarten:
- Probezeit: 4 Monate
- Kündigungsfrist in der Probezeit: 2 Wochen (unter Bezug auf § 622 Abs. 3 BGB)
- Ordentliche Kündbarkeit während der Befristung: vertraglich geregelt im Sinne von § 15 Abs. 4 TzBfG
Der Arbeitgeber kündigte noch während der Probezeit. Die Klägerin hielt die viermonatige Probezeit für unverhältnismäßig lang und argumentierte, sie dürfe höchstens drei Monate betragen – also 25 % der Befristungsdauer. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgte dieser Argumentation und nahm einen vermeintlichen „Regelwert“ von 25 % an.
2. Die korrigierende Linie des BAG
Das BAG hat diese Sichtweise in seinem Urteil vom 30. Oktober 2025 ausdrücklich zurückgewiesen. Der Zweite Senat stellte klar:
- Es gibt keinen festen prozentualen Richtwert, insbesondere keinen „Regelwert“ von 25 % der Gesamtdauer.
- Maßgeblich ist immer eine Einzelfallabwägung.
- Die Prüfungsmaßstäbe sind:
- Dauer der Befristung,
- Art und Komplexität der Tätigkeit,
- Dauer und Tiefe der erforderlichen Einarbeitung.
Im entschiedenen Fall existierte ein detaillierter Einarbeitungsplan über drei Phasen mit einer Gesamtdauer von 16 Wochen. Diese strukturierte Einarbeitung rechtfertigte nach Ansicht des BAG eine Probezeit von vier Monaten. Die Revision der Klägerin blieb daher erfolglos.
III. Praktische Leitlinien für die Angemessenheit
Die Entscheidung des BAG bedeutet nicht, dass Arbeitgeber beliebig lange Probezeiten vereinbaren dürfen. Vielmehr sind einige Leitlinien zu beachten, die sich aus Gesetz und Rechtsprechung ableiten lassen.
1. Kein starrer Prozentwert
Die frühere Auffassung, die Probezeit dürfe regelmäßig maximal 25 % der Befristungsdauer betragen, ist nach der Entscheidung des BAG überholt. Eine pauschale Quote lässt sich mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung des § 15 Abs. 3 TzBfG nicht vereinbaren. Entscheidend ist stets die Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls.
2. Orientierung an der Art der Tätigkeit
Je fachlich anspruchsvoller und komplexer die Tätigkeit ist, desto eher ist eine längere Probezeit gerechtfertigt. Entscheidend ist insbesondere die Dauer, die der Arbeitgeber benötigt, um sich ein verlässliches Bild über fachliche und persönliche Eignung zu machen.
Beispiele:
- Hochqualifizierte Positionen mit vielschichtigem Einarbeitungsplan: längere Probezeit (bis zu mehreren Monaten) kann angemessen sein.
- Einfache Routinetätigkeiten mit kurzer Anlernphase: eher kurze Probezeit angezeigt.
3. Verhältnis zur Befristungsdauer
Die Probezeit darf die Befristungsdauer nicht faktisch „auffressen“. Eine Probezeit, die der gesamten Vertragslaufzeit entspricht, wird regelmäßig unverhältnismäßig und damit unwirksam sein.
Beispiele:
- 6 Monate Befristung + 6 Monate Probezeit → regelmäßig unverhältnismäßig.
- 12 Monate Befristung + 4 Monate Probezeit → bei dokumentiertem Einarbeitungsbedarf zulässig (wie im BAG-Fall).
- 24 Monate Befristung + 6 Monate Probezeit → typischerweise unproblematisch, solange die Tätigkeit dies rechtfertigt.
4. Folgen einer unverhältnismäßigen Probezeit
Ist die vereinbarte Probezeit nach § 15 Abs. 3 TzBfG unverhältnismäßig, ist die Probezeitklausel unwirksam. Dies hat insbesondere folgende Konsequenzen:
- Die verkürzte Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB greift nicht.
- Es gelten die regulären Fristen des § 622 Abs. 1 oder 2 BGB.
- Die bloße Unverhältnismäßigkeit der Probezeit führt nicht automatisch dazu, dass die Vereinbarung der ordentlichen Kündbarkeit nach § 15 Abs. 4 TzBfG entfällt.
Die Kündigung kann daher weiterhin wirksam sein, nur eben mit den längeren gesetzlichen Fristen.
5. Dokumentation und Vertragsgestaltung
Für Arbeitgeber empfiehlt es sich, insbesondere bei längerer Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis, die Gründe der Einarbeitungsdauer und Komplexität der Tätigkeit gut zu dokumentieren. Dies kann etwa durch:
- einen schriftlichen Einarbeitungsplan,
- eine Beschreibung der Tätigkeit und Verantwortungsbereiche,
- interne Schulungs- und Qualifizierungskonzepte
Für Arbeitnehmer bedeutet dies umgekehrt: Eine längere Probezeit ist nicht automatisch rechtswidrig, aber eine rechtliche Prüfung im Einzelfall kann lohnend sein.
IV. Einordnung weiterer Rechtsprechung
Auch die bisherige Rechtsprechung deutete bereits an, dass Probezeiten bei befristeten Verträgen nicht den Sinn haben dürfen, die gesamte Vertragslaufzeit unter erleichterte Kündigungsbedingungen zu stellen. Die Entscheidung des BAG vom 30.10.2025 konkretisiert diese Linie und stellt klar, dass die Probezeit ein Instrument zur Erprobung ist – nicht zur planmäßigen Verkürzung der Befristung.
Je genauer Arbeitgeber darlegen können, warum eine bestimmte Dauer der Probezeit erforderlich ist, desto eher wird eine solche Vereinbarung gerichtlicher Überprüfung standhalten.
V. Fazit
Die Frage, wie lange die Probezeit bei einem befristeten Arbeitsvertrag sein darf, lässt sich nicht mit einer pauschalen Zeitspanne beantworten. Entscheidend ist die Einzelfallprüfung nach § 15 Abs. 3 TzBfG, bei der insbesondere die erwartete Befristungsdauer und die Art der Tätigkeit im Vordergrund stehen.
Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2025 – 2 AZR 160/24 – klargestellt, dass:
- kein fester Regel- oder Prozentwert (z. B. 25 %) für die zulässige Probezeitdauer gilt,
- die absolute Höchstgrenze von sechs Monaten des § 622 Abs. 3 BGB auch bei Befristungen zu beachten ist,
- Verhältnismäßigkeit und Einzelfallumstände entscheidend sind.
Für die Praxis bedeutet dies: Arbeitgeber sollten Probezeiten in befristeten Arbeitsverträgen sorgfältig planen, begründen und dokumentieren. Arbeitnehmer wiederum sollten genau prüfen, ob die vereinbarte Probezeit im Verhältnis zur Tätigkeit und zur Befristungsdauer angemessen ist. Bei Zweifeln empfiehlt sich eine frühzeitige arbeitsrechtliche Beratung, um Rechte und Handlungsmöglichkeiten rechtssicher einschätzen zu können.


